Von kariertem Papier und vom Selbstbewusstsein

An einem Kongress zum Mathematikunterricht in den achtziger Jahren hielt ein polnischer Mathematiker ein sehr kompliziertes und gescheites Referat, das er mit der Frage beendete: „Wird die Zukunft der Mathematik eine algorithmische sein oder werden Mengen vorherrschen? Wir wissen es nicht.“ Applaus, Applaus. Da erhob sich Easy Weinzweig von der University of Chicago und sagte: „You don’t know? Ask me! I know!!“ Ein schöneres Beispiel ungebrochenen Selbstbewusstseins kenne ich nicht. Übrigens staunte dieser Mathematikdidaktiker aus Chicago über mein 5 mm kariertes Notizpapier aus der Schweiz. So etwas hatte er noch nie gesehen und war sofort begeistert von den Möglichkeiten dieses Papiers im Geometrieunterricht.
Weshalb ich das erzähle? Weil mir in den Sinn kommt:
Wenn ein Kind auf die Welt kommt, ist es sofort von einer Unmenge Zahlen umgeben, etwa so:
31.07.2009. 23.37. 2415. 46.5
Und die Mutter liegt vielleicht in H6 oder G3 (Nein, das hat nichts mit Schach zu tun.) und ist glücklich, dass beim Neugeborenen alle fünf mal zwei Finger und alle zehn Zehen gesund und munter da sind.
Noch bevor wir Menschen die Augen öffnen, noch bevor wir irgend einen klaren Gedanken gefasst haben, umgeben uns Zahlen, flirtet die Mathematik mit uns. Wie viele Primzahlen stecken in deinem Geburtsdatum? In meinem leider nur zwei! Dennoch lieben die wenigsten Menschen die Mathematik. Viele erwähnen nicht ohne Stolz ihre schlechten Schulnoten im Rechnen, in der Mathematik. Ob das am mangelnden Selbstvertrauen und am karierten Papier liegt? „Es wird ja wohl wieder falsch sein!“ „Wieder habe ich den falschen Algorithmus erwischt.“ „Schreib sauber in die Häuschen!!!“
Easy, der Linkshändler aus Chicago zeichnete lachend präzise Dreiecke aufs Häuschenpapier, freute sich darob und schrieb dann schräg und quer und sorglos chaotisch seine Buchstaben, Zahlen und gescheiten Kommentare aufs Papier, als wäre es einfach weiss.

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