Was es alles (fast) (und meist zum Glück) nicht mehr gibt

Eigentlich suchte ich in Morgensterns Galgenliedern sein hübsch-trauriges Liebeslied zwischen Herrn Igel und Frau Agel, blieb wie so oft in der Lektüre hängen und fand ein Gedicht, das ich nicht mehr im Gedächtnis hatte: Mägde am Sonnabend. Mägde, welche Teppiche klopften mit dem Teppichklopfer. Ja, gibt es das heute noch? Und was ist sonst aus unserer modernen Welt verschwunden, was meine Kindheit mehr oder weniger prägte? Natürlich:

Das Sonntagskleid für die wirklich langweiligen Sonntage. Spielplatz und Fussballplatz waren tabu, das Kleid durfte auf keinen Fall schmutzig werden: Es drohte der Sonntagsspaziergang!

Drei Löffel Lebertran am Abend [heute vielleicht noch in Pillenform mit Orangenaroma?]: zum k…

Das Welschlandjahr [oder kennen Sie ein Mädchen, das jetzt im Welschlandjahr ist?]

Kondukteure auf fest eingebautem Sitz im Züri Tram. Man musste hinten einsteigen, ein Billet (nicht ein Ticket!) erstehen oder ablochen lassen und dann hörte man regelmässig: „Nach vorne ufschlüsse!“

Das Telefonbuch [doch, doch, das gibt es noch, nur braucht es niemand mehr] für das schwarze Telefon an der Wand im Nachbarhaus

Die Blitzableiter [doch, doch; auch die gibt’s noch, man sieht sie nur nicht mehr]

Die Teppichklopfer [Samstag für Samstag wuchteten wir Kinder die schweren Läufer über die Teppichstangen und schlugen und schlugen den Staub in die Luft!]

Da gibt es wie gesagt dieses hübsche Gedicht von Christian Morgenstern (1871 – 1914), welches von unseren Enkelkindern kaum mehr verstanden würde, glaube ich:

Mägde am Sonnabend

Sie hängen sie an die Leiste
die Teppiche klein und gross,
sie hauen, sie hauen im Geiste
auf ihre Herrschaft los.

Mit einem wilden Behagen,
mit wahrer Berserkerwut,
für eine Woche voll Plagen,
kühlen sie sich den Mut.

Sie hauen mit splitternden Rohren
im infernalischen Takt.
Die vorderhäuslichen Ohren
nehmen davon nicht Akt.

Doch hinten jammern, zerrissen
im Tiefsten, von Hieb und Stoss,
die Läufer, die Perserkissen
und die dicken deutschen Plumeaus.

Die schlagkräftige Dame im folgenden Bild (ein Klick darauf vergrössert es) dürfte allerdings keine Magd aus der Zeit vor den beiden Weltkriegen, sondern eine für ein Foto herausgeputzte Hausfrau aus den Fünfziger Jahren sein.

Zum Teppichklopfer noch ein Zitat aus WikipediA:

Bis in die späten 1970er Jahre war der Teppichklopfer jedoch vor allem in Deutschland, aber auch in Italien und Österreich neben dem Rohrstock ein weit verbreitetes Hilfsmittel zur körperlichen Züchtigung von Kindern und Jugendlichen in der Familie. Weniger schmerzhaft als ein Rohrstock, galt er gleichwohl als sehr effektiv, vor allem auf dem entkleideten Gesäß; wurde er auf dem Hosenboden eingesetzt, war umgangssprachlich – analog zu seinem Gebrauch als Haushaltsgerät – oft von ausklopfen oder ausstauben die Rede.

 

 

Et voilà: Der Staubsauger. Und das Teppichklopfen wurde fast nur noch beim Frühjahrsputz notwendig.

staubsauger

 

 

 

 

 

Und neuerdings, quasi verkehrt herum und sehr, sehr laut: Der Bläser!

blaeser

 

 

 

 

 

 

 

Ah ja, Morgensterns Igelgedicht:

Igel und Agel

Ein Igel sass auf einem Stein
und blies auf einem Stachel sein.
Schalmeiala, schalmeialü!
Da kam sein feinslieb Agel
und tat ihm schnigel schnagel
zu seinen Melodein.
Schnigula schnagula
schnaguleialü!

Das Tier verblies sein Flötenhemd …
„Wie siehst du aus so furchtbar fremd!?“
Schalmeiala, schalmeialü -.
Feins-Agel ging zum Nachbar, ach!
Den Igel aber hat der Bach
zum Weiher fortgeschwemmt.
Wigula wagula
waguleia wü
tü tü …

2 Gedanken zu „Was es alles (fast) (und meist zum Glück) nicht mehr gibt“

  1. Ja, ja am Abend vor der Aufnahmeprüfung in die Kantonsschule hat mich der Vater mit dem Tepichklopfer traktiert. Ich war wohl etwas aufgeregt und deshalb rauften wir Kinder uns. Was die Mutter dazu bewegte den Vater beizuziehen.
    Leider hatte der Tepichklopfer Stahleinlagen, was auf meinem Hintern saftige Eindrücke hinterliess.
    Das waren noch Zeiten!

  2. Von solcher Erfahrung bin ich zum Glück verschont geblieben. Vater war ein Leben lang recht geschockt gewesen von den Gürtelschlägen, welche Grossvater offenbar ausgeteilt hatte. Er verzweifelte manchmal still am Sohn! Unsere Teppichklopfer wiesen übrigens keine Stahleinlagen auf, soviel ich weiss – wir hatten ja auch noch keine Metallskis!

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