Unser touristisches Zeitalter

Venedig, Barcelona und viele andere Städte leiden immer stärker unter den massiv zunehmenden Touristenströmen. Marco d’Eramo stellt in seinem Buch «Die Welt im Selfie» fest, dass der Tourismus zur stärksten Industrie unserer Zeit geworden ist. Tourismusarten gibt es mittlerweile zu Hauf. Eine der modernsten ist der Sterbetourismus, laut d’Eramo erstmals 1999 so bezeichnet von der Staatsanwaltschaft Zürich.


D’Eramo analysiert die Wirkung, welche der Titel «UNESCO-Weltkulturerbe» auf die Stadtentwicklung hat: Die Städte sterben! Was einst von Leben durchdrungen war, wird museal. Die Einwohner werden vertrieben, was zurückbleibt, dient den Touristen und gleicht sich überall auf der Welt. Die Bauten werden zu Tode restauriert, und d’Eramo zitiert Ruskin: «Es ist ganz unmöglich, so unmöglich wie die Toten zu erwecken, irgend etwas wiederherzustellen, das jemals gross oder schön in der Baukunst gewesen ist.» Und bezeichnet ihn als «Ruinenfundamentalisten». Er lässt aber auch die gegenteilige Position zu Wort kommen, indem er Viollet-le-Duc zitiert: «Ein Bauwerk zu restaurieren heisst nicht, es in gutem Zustand zu halten, es zu reparieren oder neu zu machen, sondern es wieder in einen Zustand der Vollkommenheit zu setzen, den es möglicherweise zu keinem Zeitpunkt je gegeben hat.»

In einer Vorlesung im Jahr 2012 erklärte Valentin Groebner von der Uni Luzern: «Im 19. Jahrhundert gehen langsam die mittelalterlichen Ruinen aus! Deshalb wird das Mittelalter jetzt neu gebaut (1860 – 1930). Was wir heute sehen, ist meist 19. Jahrhundert, nicht 13. oder 15. Spalentor in Basel, Fassade des Münsters in Basel. Die Mauern von Carcassonne 1870! Mussolini liess die Türme in San Gimignano dreimal zu hoch wieder aufbauen! Der Tourismus gibt den Gebrauch der Geschichte vor. Beispiel: Die Sainte Chappelle, erbaut im 13. Jahrhundert, abgebrannt im 17. und als Steinbruch während der französischen Revolution verwendet, wird im 19. Jahrhundert von Viollet-le-Duc (er macht das Mittelalter farbig) wieder aufgebaut und nach 1945 von Mitterrand so ergänzt, dass massive Touristenströme durchgelotst werden können.» [Notizen WHe]


Patrick Modiano, porteur du prix Nobel de littérature en 2014 vient de publier un nouveau « roman » qui fête la mémoire :
« Souvenirs dormants ». La passion de Modiano est le souvenir. « Vous en avez de la mémoire … » Oui, beaucoup ! L’auteur traverse Paris de tout côtés, en métro, à pied, seul ou en compagnie de femmes. Pas aujourd’hui, mais dans sa mémoire pour ainsi dire. C’est le Paris des années soixante : « Il me semble aussi qu’au cours de ces années 1963, 1964, le vieux monde retenait une dernière fois son souffle avant de s’écrouler, comme toutes ces maisons et tous ces immeubles des faubourgs et de la périphérie que l’on s’apprêtait à détruire. » (Ou – dans le centre – de les restaurer, oserais-je dire.) Karin et moi, nous nous sommes fiancés à Paris en 1966 lors de mes « études » à l’Alliance Française. Or, nous aussi, nous connaissions encore ce « vieux Paris » de « Souvenirs Dormants » de Modiano qui n’est que quelques années plus jeune que nous.

Unsere Reisen in jungen Jahren fanden zu einer Zeit statt, als der Tourismus noch nicht zur wichtigsten Industrie geworden war, als wir Venedig in aller Ruhe geniessen konnten, als Barcelona «noch lebte» – wenn auch unter dem Gaudillo!

Modiano bleibt nicht im Schwelgen der guten alten Zeit stehen. Er schreibt den tröstlichen Satz: A mesure que passent les années, vous finissez sans doute par vous débarrasser de tous les poids que vous traîniez derrière vous, et de tous les remords.

Patrick Modiano: Souvenirs Dormants. Gallimard. 2017
Marco d’Eramo: Die Welt im Selfie. Eine Besichtigung des touristischen Zeitalters. Suhrkamp. 2018

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