Lustiges? Nachdenkliches?

Worüber machen sich professionelle Spassmacher, Kabarettistinnen, Satiriker heutzutage lustig? Was nehmen sie aufs Korn? Welche gesellschaftlichen Trends kritisieren sie mit scharfer Zunge? Wir fahren seit einigen Jahren regelmässig im Dezember nach Arosa ans Humorfestival.
Die deutschen Schnellsprecher witzeln öfter über unsere schweizerische Angewohnheit, so ziemlich alles in den herzigen Diminutiv zu setzen: Ihr habt eure Alpträumli, eure Naturkataströphli und den Sepp Blatterli. (Giacobbo-Müller zitieren Blatter: „Make the World a Butter Place!“) Seinerzeit mahnte uns einer zu mehr Gelassenheit, indem er empfahl: Raucht wegen diesen Minarettli doch ruhig noch ein Zigarettli. Hochdeutsch: „Wir fahren zu unserer Yacht in Interlaken“. Berndütsch: „Wüsst er, I han es Böötli uf em Thunersee.“ (Man muss das wirklich Bühnenhochdeutsch und wirklich Berndeutsch hören, um den unermesslichen Abstand zwischen den beiden Sätzen zu spüren!)
Sehr oft wird unsere schöne neue Konsumwelt parodiert, ausgehend etwa vom Pferdefleischskandal, was ganze Balladen auch über das Gammelfleisch zur Folge hatte. Mit Scharfblick werden Frauen und Männer definiert: Hübsch wird berichtet, dass Frauen fürs Multitasking begabt sind im Gegensatz zu Männern, die als Jäger immer auf EIN klares Ziel ausgerichtet sind: Frauen können reden und Zeitung lesen, sodass der Mann immer wieder seine Zeitungslektüre unterbrechen muss und dabei den Finger an jene Stelle hält, wo er gerade stehen geblieben ist. Frauen sammeln beim Einkauf, während Männer zielstrebig das kaufen, was zu kaufen ist: Ich jagen, du sammeln!
Natürlich ist Politik, sind Politiker immer wieder ein Thema: Der Vater zum Sohn im Zoo: Nilpferde sind Politiker: Sie haben ein grosses Maul und schwimmen im Sumpf. Morgen besuchen wir das Parlament. Der Sohn: Aber im Affenhaus waren wir doch schon. Alain Berset hat noch nie gearbeitet, war ab Studium immer in der Politik, hat nichts zum BIP beigetragen. Ausser sechs Monaten als Wirtschaftsberater. Das sei wie wenn ein Vegetarier am Wurststand von Bell verkaufe. Interview mit Frau Leuthard, die aber nur mit ja oder nein antworten durfte und sich darob enervierte. „So geht es mir bei Volksabstimmungen auch“, rief Thiel. (Aha: Thiel in Anzug und Krawatte und knallrotem Irokesenkamm!) Auch sehr böse, diesmal von einem deutschen Alleinunterhalter zu den Wahlen in Deutschland: Mütter kann man nicht abwählen! Merkel fordert die Griechen auf, endlich ihre Hausaufgaben zu machen. Diese deutsche Arroganz, ruft der Kabarettist. Hausaufgaben? Bremen hat pro Kopf mehr Schulden und mehr Analphabeten als Griechenland! Wir retten Griechenland? Soweit waren wir doch schon einmal in 1940!!
Und dann immer wieder: die Liebe! Gesteht eine Frau auf einer Bank im Park dem Mann ihre grosse Liebe so überzeugend, dass der in Tränen ausbricht. Wie wunderschön! Aber es waren nur die Pollen, und nach dem Gang in die Apotheke trennen sich die beiden für immer. Eine andere Geliebte verlässt ihren Darling wegen eines andern. Sie liebe nur noch den einen, lebe nur noch für diesen andern! Schimpft der Mann: Wenn ich diesen Jesus erwische, hau ich ihm eine runter!
Ja, die Religion und die Kirche und der Papst. Aber darüber schweigen wir lieber.

Vermessene Lektürevorschläge für unsere Politiker

Der „Literaturklub“ ist eine Fernsehsendung, in welcher Kritiker Bücher besprechen. Manchmal nehmen auch Schriftsteller an der Diskussionsrunde teil. Und einmal war gar ein Bundesrat zu Gast, stellte ein Buch vor und beteiligte sich an der Diskussion mit den Kritikern. „Hat ein Bundesrat überhaupt noch Zeit zum Lesen?“, wurde er gefragt.

Es klagte ein Freund, ihn dünke, hohe Beamte und Politiker seien im Gegensatz zu früher keine belesenen Leute mehr. In der Tat weiss ich von einem Spitzenbeamten, der sich sogar damit brüstet, dass er nach dem Jus-Studium kein einziges Buch mehr gelesen habe. Würden Politiker und ihre Beamten oder Wirtschaftsführer umsichtiger und klüger entscheiden, wenn sie „belesen“ wären? [Oh, es gibt sicher belesene Vertreter dieser Berufe, ich will da die Kritik nicht übertreiben.]

Welche Lektüre würde ich denn empfehlen, und aus welchen Gründen? Hoppla, jetzt wird es aber sehr persönlich, denn ich kann ja nicht einfach alle Werke des Bildungskanons aufzählen. Mutig stelle ich mich also vor mein Büchergestell und schlage vor:

Thomas Maissen: Geschichte der Schweiz. hier + jetzt Verlag. Baden. 2010
und
Roger Sablonier: Gründungszeit ohne Eidgenossen. hier + jetzt Verlag. Baden. 2008
Die Sendereihe „Die Schweizer“ von SRF zeigt deutlich, wie wichtig es ist, das landauf landab grassierende Gemisch von Legenden und kaum bekannter Geschichte zurecht zu rücken. Diese Folklore eines bäuerlich-berglerischen Urvolks, das seine Freiheit gegen die bösen Habsburger erkämpft, beeinflusst noch heute auf unheilvolle Weise unsere Gesellschaft und die Politik unseres Landes. Maissens „Geschichte der Schweiz“ bietet einen hervorragenden Überblick bis in unsere Zeit, und Sabloniers Darstellung der Politik und Gesellschaft in der Innerschweiz um 1300 ist schlicht grossartig.

Georg Kreis: Schweizer Erinnerungsorte. Verlag NZZ. Zürich 2010
In 26 kurzen Kapiteln öffnet Kreis den Speicher der Swissness. Natürlich schreibt er über das Rütli, über Tell und General Guisan, aber auch über den Bernhardiner, das Chalet, die Toblerone und das Gerber Chäsli. Wer das Buch gelesen hat, versteht die Schweiz besser.

Tony Judt: Postwar. Vintage Books. London. 2010
A History of Europe since 1945. Das Buch gibt es auch in deutscher Übersetzung, aber unsere Wirtschaftsführer lesen ja wohl problemlos englische Texte, auch wenn sie gut 800 Seiten lang sind. Judt ist Jahrgang 1948, er ist also nur wenige Jahre jünger als ich. So beschreibt er die Welt, die auch ich von Kindsbeinen an bis heute erlebt habe. Und er beschreibt sie faszinierend! Wer Europa verstehen will, lese dieses Buch, bitte schön!

Jetzt aber weg von der Geschichte und hin zu den Naturwissenschaften:

David Blatner: Extremwelten. Berlin Verlag. 2013
Blatner liefert weder naturwissenschaftliche Grundlagen noch Schulphysik oder –chemie. Er erzählt äusserst spannend vom gewaltig Grossen oder verschwindend Kleinen, von Extremen eben in Mathematik, Kosmologie, Biologie, etc. Kein Lehrgang, aber das Buch öffnet die Augen für unsere Umwelt, die wir nun auf andere, durchaus schärfere Weise wahrnehmen.

„Belesenheit“ bezieht sich aber natürlich auf die Literatur, die Belletristik. Hier greife ich völlig willkürlich vier meiner Lieblingsbücher heraus:

Jacques Chessex: Un Juif pour l’exemple. Edition Grasset.2009.
Auch dieses Buch gibt es auf Deutsch – aber Schweizer Politiker und Wirtschaftsführer werden bestimmt die Sprache unserer compatriotes gerne lesen. Der Roman spielt 1942 in Payerne. Antisemitismus und Führerbegeisterung gibt es auch in der Romandie. Hier führen sie gar zu einem Mord.

Urs Widmer: Das Geld, die Arbeit, die Angst, das Glück. Diogenes. 2002
Das ist eine scharfe, präzise, erbarmungslose Analyse unserer modernen schweizerischen Gesellschaft. Einige Formulierungen sind durchaus erfrischend bösartig.

Robert Walser: Der Spaziergang. (Erstfassung 1917)
Der Spaziergänger, der Müssiggänger geniesst und erzählt. Nichts von Hektik, nirgends Stress. Effektivität und Effizienz, Timemanagement, Karriere, nur schon Geld verdienen: das alles ist in dieser Welt völlig fremd. Erholsam! Für den, der sich darauf einlässt.

Peter von Matt: Wörterleuchten. Carl Hanser Verlag. 2009
Dies ist eine Sammlung der schönsten und eindrücklichsten deutschen Gedichte mit jeweils einer knappen, sehr gescheiten und spannend zu lesenden Deutung von Matts. Eine herrliche Lektüre für Mussestunden, die wohl auch Politiker hie und da werden geniessen dürfen.

Zwei blicken über den Berenbach

Meinen Nachbarn hier in der Siedlung im Eschberg muss ich kurz von einem Besucher berichten, der mit mir im Gras am Berenbach stand. Wir freuten uns am Murmeln und Plätschern des Wassers, sahen zwar keine Fische, und auch die sommerlichen Libellen fehlten, aber die Herbstsonne schenkte allem ihren Glanz. Am andern Ufer stehen ja nun auf künstlich erhöhtem Grund neue Häuser, in denen neue Nachbarn wohnen. Erinnert man sich noch an die Zeit vor diesem Häuserbau? An die hohen Bäume vor der alten Scheune, an die Pferde und Kühe auf den Wiesen am Bach? Sieht man noch die unbehinderte Sicht auf Bachtel und Glärnisch und Mürtschen und …?

Mein Besucher ist Stadtzürcher, hat ein Leben lang in der Stadt am Fusse des Uetlibergs gewohnt und gelebt, hat gearbeitet und gefeiert mitten in Häusern. Und sagt nun zu mir, der ich manchmal ein bisschen der früheren Weite des Blicks und der tierischen Gemütlichkeit nachtraure: „Das alles hier hat ja nun sehr gewonnen! Jetzt ist es bei dir richtig schön! Dieser Bach und dahinter die schönen Häuser der Nachbarn!“

Das hat mich schon etwas verblüfft. Es ist halt wirklich wahr: Die Welt ist für jeden so wie er sie sieht.

Bildungsdünkel

Das Spannende an Quiz-Sendungen besteht darin zu beobachten, wer welche Antworten findet und welches Wissen fehlt. Das deckt sich dann zuweilen mit meinen Kenntnissen und meinen Wissenslücken. Aber manchmal erstaunt mich doch, wie Zeitgenossen antworten.
Ein Paar in meinem Alter wurde gefragt, ob „Sodom und Gomorra“ Brüder seien oder Vater und Sohn oder … Städte. Die beiden waren sich sicher, dass es keine Städte sind und gaben „Brüder“ zur Antwort.
Woran litt König Midas? Man(n) wusste es nicht, hatte die Geschichte noch nie gehört.
Wogegen schützt der Faradaykäfig? Gegen Bienenstich.
Nennen Sie das Resultat von 3 + 7 x 2 – 8. Der Kandidat war sich sicher: 12! – 9 wäre schon korrekter gewesen. [ DAS HÄTTE ICH NATÜRLICH GEWUSST! Jedoch: Wie wenig weit reichen meine mathematischen Kenntnisse!!]
Mündet die Wolga ins Schwarze Meer, ins Kaspische Meer oder ins Mittelmeer? Hoppla, da hätte ich nun daneben geraten – so eine Schande!
All diese Fragen zielen irgendwie in den Korpus der „Allgemeinbildung“, wie wir früher gesagt hätten. Allerdings: Selbst wenn man die Antwort kennt, was weiss man dann wirklich? Kenne ich die biblische Erzählung über Sodom und Gomorra und ahne ich, was sie den Menschen damals sagte und was sie heute bedeutet? Weiss ich, dass Adam mit Gott feilschte um die Zahl notwendiger Gerechter? Habe ich gelesen und weiss ich es noch, dass Lot mit seinen Töchtern nach übertriebenem Weingenuss zwei Stammhalter zeugte?
Und wie geschah es Midas, dem alles zu Gold wurde, das er berührte? Verhungerte er? Welcher Fluss spülte seine gefährliche Gabe weg und war nun reichlich goldhaltig?
Unsere Geografiekenntnisse könnten wir ja Tag für Tag anhand der Zeitungslektüre mit der Berichterstattung über Syrien, Irak und Iran testen.

Jemand schildert: Man stelle sich vor, dass alles, was man weiss, in einer Kugel versammelt ist. Ausserhalb der Kugeloberfläche liegt unser aller Nichtwissen. [Zum Beispiel: Weshalb Lebewesen schlafen.] Je mehr wir Menschen nun wissen, desto grösser wird die Kugel, desto grösser ihre Oberfläche und desto gewaltiger also die Menge unseres Nichtwissens.
Wer dieses Bild entworfen oder erfunden hat? Ich weiss es nicht (mehr)!

Eine knappe Woche vor den eidgenössischen Abstimmungen wurde gefragt, worüber wir denn abstimmen werden. – Der Herr im besten Mannesalter wusste es nicht!

Tage des Lesens

Umberto Eco: Die Bücher stehen da im Bücherregal – stumm? Nein: Sie reden miteinander. Sehen Sie nur:

Ich beende die Lektüre des Krimis von Petros Markaris „Faule Kredite“. Und stelle diesen Markaris nun zurück ins Regal. Neben ihm steht Kurt Marti „Im Sternzeichen des Esels“. Nanu? Was ist denn das? Erinnere mich gar nicht, schlage das Buch auf:

„Ein Engel war für René Char ‚die Kerze, die sich krümmt, im Norden des Herzens’. Wie das deuten? ‚Lern solche Definitionen auswendig’, rät Peter Handke, „sie ersparen das Gerede.“ [S.175] [Kurt Marti: Im Sternzeichen des Esels. Nagel & Kimche.1995]

Neben meinem Computer liegt Handkes „Gestern unterwegs“, worin ich immer wieder einige Sätze lese. Darin ist viel von Spazieren, von Spatzen, aber auch von Engeln, vor allem romanischen und gotischen die Rede. Handke, dieser grossartige Liebhaber des Mittelalters! [Peter Handke: Gestern unterwegs. Suhrkamp. 2007]

Zurzeit lese ich, wie alle Leseratten, Urs Widmers fantastische Autobiographie „Reise an den Rand des Universums“. Obschon Widmer etwas älter ist als ich, erkenne ich in seinen Anekdoten und Beschreibungen von Menschen, Landschaften und Städten meine Welt der Jugendzeit. Sein Paris ist auch ein bisschen mein Paris, sein Puschlav ist mein Bergell – nur bei der Basler Fasnacht kann ich als Limmattaler und Dürntner natürlich nicht mithalten.

Über seine Zeit in Paris schreibt er [S.275]: „Ich fühlte mich am richtigen Ort und vom Schicksal ausgezeichnet. Dabei verbrachte ich jene Zeit, nüchtern betrachtet, ziemlich einsam. … Mag ja sein, dass es an mir lag. Aber alle Einheimischen fegten so selbstgewiss auf ihren Umlaufbahnen, dass es eines Planeten von anderer Kraft als meiner bedurft hätte, sie vom Kurs abzubringen. Sie waren freundlich, höflich, liebenswürdig, heiter gar: Schon im Weitergehen hatten sie mich vergessen. Ich ging gern zum Zahnarzt, weil ich da einen hatte, mit dem ich, und sei’s mit dem Bohrer im Maul, ein paar Worte wechseln konnte.“

Diese Zahnarzt-Stelle erinnerte mich unmittelbar und heftig daran, dass ich das schon einmal gelesen hatte: Schon einmal fühlte sich jemand in Paris völlig einsam. Nein, nicht ich, sondern die weibliche Figur in Rothmanns Erzählung „Abschied von Montparnasse“, wo es heisst:

„… mein Gott, Paris … Diese verbrauchte Schönheit. Dieser Glanz von gestern. Nicht einen Menschen hatte sie kennen gelernt in dem Jahr, von irgendwelchen Juristen oder Geschäftsleuten abgesehen. Nicht ein einziges Mal war sie eingeladen worden von den französischen Kollegen, die junge, zunächst etwas hilflose Deutsche; mit kaum einem hatte sie gesprochen, ausserhalb der Bürozeiten …“ [Ralf Rothmann: Shakespeares Hühner. Suhrkamp. 2012]

Eco hat recht! Da flüstern alle Bücher miteinander – aber nur selten hören wir es, nur selten hören wir zu.

Oswald von Wolkenstein

Am Freitag, 9. August 2013 werden im Ritterhaus Bubikon Lieder von Oswald von Wolkenstein gesungen. Vielleicht auch das folgende:

Oh wunderschönes Paradies,
allein in Konstanz find ich dich!
Ich höre, sehe, lese viel –
doch du erfreust mich weitaus mehr!
Hier drinnen, draussen, überall,
in Münsterlingen, anderswo,
hört man von dir das Beste nur.
Da ist dann keiner missgestimmt!

Viel Augenweide
in buntem Kleide
mit Geschmeide –
in Konstanz prangen
die Mündlein rot
vergess die Not,
bin hübsch bedroht
von sanften Wangen.

Oswald von Wolkenstein lebte von 1377 bis 1445, war (Raub)ritter, Weltreisender, Dichter, Komponist und Sänger, verkehrte mit Königen und Kaiser, nahm an den Konzilen von Konstanz und Basel teil, zog in Schlachten, plünderte, raubte, wurde gefangen genommen und gefoltert.

Dieter Kühn hat Leben und Werk des Wolkensteiners beschrieben:
Dieter Kühn: Ich. Wolkenstein. Insel Taschenbuch 497. Erweiterte Ausgabe 1980. [Die hier zitierten Verse habe ich diesem Buch entnommen.]

Ich freue mich sehr auf das Konzert.

Nein, das Lied aus dem Konstanzer Konzil wurde nicht vorgetragen, dafür manch anderes. Zum Beispiel jenes balladeske Lied, in welchem Oswald von Wolkenstein die Ereignisse der Monate März und Mai 1427 erzählt:

Zwecks Abenteuer wollte ich
durch Täler, über Berge, um nicht zu verliegen.
Zuerst zum Rhein, nach Heidelberg …
[Doch Wolkenstein wurde gefangen genommen:]
Man hat mir ja schon manches Mal
recht übel mitgespielt – es kam noch schlimmer!
Ich ward auf meinem Pferd
sehr kunstvoll an den Sporen festgezurrt.

In Vellenberg im Kellerloch –
zwei Fesseln für die Füsse, eisenschwer!

Noch ein paar Zeilen aus der grossen Lebensballade Oswalds:

Nach Preussen, Litauen. Zur Krim; Türkei; ins Heilge Land;
nach Frankreich, Lombardei und Spanien. Mit zwei Königsheeren
(ich zog umher im Liebesdienst, doch zahlte selbst!)
mit Ruprecht, Sigmund: beide mit dem Adlerzeichen.
Französisch und arabisch, spanisch, katalanisch, deutsch,
lateinisch, slawisch, italienisch, russisch und ladinisch –
zehn Sprachen habe ich benutzt, wenn’s nötig war.

Die Königin von Aragon war zart und schön;
ergeben kniete ich und reichte ihr den Bart,
mit weissen Händen band sie einen Ring hinein,
huldvoll und sprach: „Non mais plus disglaides.“
Die Ohrläppchen hat sie mir eigenhändig dann
durchbohrt, mit einer kleinen Messingnadel;
nach Landessitte hängte sie zwei Ringe dran.

In der Kappelle des Ritterhauses Bubikon erklangen einstimmige Lieder, dreistimmige Kanons und Instrumentalmusik von Harfe, Vielle, Dudelsack, Sinfonia, Flöte und Laute. Drei Damen aus Belgien, Schweden und Kanada, ein Herr aus Frankreich und einer aus Deutschland: Das Ensemble Leones begeisterte!
War das ein prächtiger Abend mit einem schönen, von der Kantonalbank Rüti gespendeten Pausenapéro.

Als es noch Telefonbücher gab

Urs Widmer schreibt in seiner Erzählung „Alois“: „Auf meinem Bücherregal stehen der Gute Kamerad, Schloss Rodriganda, Was fliegt denn da, Grosse Schweizerschlachten, der Steuermann Ready, das Telefonbuch von Appenzell-Innerrhoden.“

Heute gibt es zwar noch Telefonbücher, aber niemand braucht sie mehr. Man wählt einfach 1818 und die Werbefigur beisst glücklich in ein Rüebli oder lässt einen Kinderballon platzen oder wird an einem Skiliftbügel auf dem Rücken im Schnee liegend hoch geschleppt. Skiliftbügel gibt es zwar auch nicht mehr.

In Frankreich allerdings leistete uns ein Telefon- oder Adressbuch grosse Hilfe: Wir fuhren in Moulins ein, der „capitale du pays Bourbon“, suchten erfolglos unser Hotel, parkierten vor einer modernen Postfiliale, und ich fragte einen Postbeamten nach dem Weg zum Hotel „Le clos de Bourgogne“. „Comment je vais vous expliquer?“ sinnierte der und riss kurzerhand den Stadtplan aus seinem Adress- oder eben Telefonbuch heraus, umkreiste Postfiliale und Hotel, zeigte uns den Weg und gab uns das Plänchen mit. „Oh, là, vous allez vous réjouir d’une cuisine vraiment excellente!“, fügte er bei.

Telefonbücher und Skiliftbügel haben ausgedient. Und wissen Sie, was es auch nicht mehr gibt oder jedenfalls nur noch ausnahmsweise und nur noch im (Hochleistungs-)Sport? Schmutzige Schuhe! Auf unserer Reise in die Auvergne, in der Stadt, im Dorf, in Kindergärten und Schulen, in Warenhäusern oder Kirchen: Siehst du da Leute in schmutzigen Schuhen? In Schuhen, die stehen vor Dreck? Samstag für Samstag mussten wir Kinder die Schuhe der ganzen Familie reinigen: Dreck abkratzen, bürsten, einwichsen (nicht zu viel Wichse verschwenden!), glänzen. Dann wieder die Treppe reinigen. Und dennoch: Wie ich als Dreizehnjähriger in die Stadt zur Schule kam, war ich der einzige, dessen Schuhe nicht glänzten. Ich weinte vor Zorn und Scham. Wortlos reinigte mir anderntags der Grossvater die Schuhe, wichste ohne mit Fett zu sparen und glänzte und siehe da: so schöne Schuhe hatten nicht einmal die Knaben vom Zürichberg!

Nun träume ich so vor mich hin: Was es alles nicht mehr gibt aus meiner Kinderwelt: Neger gibt es nicht mehr, Mohrenköpfe, Föifermöcke, Füfzähner- und Drissgerguetzli und den Dogobert Duck, der trotz der Panzerknackerbande im Gold badet. Das heisst: es gibt das alles natürlich schon noch, nur heisst es jetzt anders und ist viel teurer und im Fall von Dagobert Duck und Daniel Düsentrieb auch viel gefährlicher.

Wer ein GPS hat, braucht wohl auch keinen liebenswürdigen Postbeamten in der Capitale du pays Bourbon mehr.

PS: ‚Was fliegt denn da‘ steht auch in meinem Büchergestell – nicht alles ist verschwunden. Nur: Den Kuckuck habe ich dieses Jahr hier bei uns noch nie gehört; was hilft es da, Geld in der Tasche zu haben!

 

Miteigentümerversammlung – die siebte

Am 13. Juni wurde der Revisorenbericht zur Kenntnis genommen, es wurde Decharge erteilt, und Rechnung und Budget wurden genehmigt. Neuwahlen waren nicht erforderlich. Fragen zu Unterhalt, Hauswartung und Anschaffungen konnten zur Zufriedenheit aller beantwortet werden: Neue Schneefräse, neuer Sand im Sandkasten, eine neue Kleinkinderschaukel, reparierte Aussenlampen und allerlei Klein- und Kleinstmaterial läpperte sich da so zusammen, wie das eben zu erwarten ist.

Sorgen allerdings bereiten Abwasserrohre, in denen sich doch überraschend grosse Steine sammeln, wo ständig Wasser läuft und sich Textilien und Spaghetti tummeln – da wird man mit einer Kamera nachschauen müssen. Spaghetti übrigens in solchen Rohren – nein: bitte sehr!

Wer über eine Westfassade verfüge, wo das Wetter heftig hinzulangen pflegt, solle doch bitte einmal nachschauen, ob sich da nicht etwa erste, sehr verfrühte Schäden fänden, wurde empfohlen. Auch den grauen Wänden in der Tiefgarage wird nachgeforscht: wie wäre da Abhilfe zu schaffen? Und es zirkulierten Fotos von Katzenkot.

Dann bedankten wir uns bei den Hauswarten für ihren Einsatz und garnierten mit schönem Applaus.

Der Duft der Weissdornblüte

 „Singt’s schon im Schlehdornhag, singt’s was es singen mag, ´s ist Maientag.“ Nein, dieses Lied war es nicht, das mich bewog, den Gärtner zu bitten, mir zwei Weissdorngebüsche in den Hang zum Berenbach zu pflanzen. Vielmehr war es meine Begeisterung für Marcel Proust. In seinem Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ finden sich viele sehr schöne Stellen, in denen der Weissdorn seinen Auftritt hat:

„Sie machten ein paar Schritte durch den Park, der in zartem Sonnenschein dalag. Plötzlich fasste Monsieur Swann meinen Grossvater beim Arm und rief: ‚Ach! Alter Freund, was für ein Glück, dass wir hier bei diesem schönen Wetter zusammen spazieren gehen können! Ist das nicht wunderhübsch, diese Bäume, dieser Weissdorn und mein Teich, zu dem Sie mir noch nicht einmal gratuliert haben!’“

„Als ich beim Verlassen der Kirche vor dem Altar die Knie beugte, spürte ich plötzlich, als ich mich wieder erhob, von den Weissdornzweigen her einen bittersüssen Mandelduft und erkannte gleichzeitig auf den Blüten kleine gelbliche Stellen, unter denen ich mir jenen Duft verborgen dachte wie unter den gebräunten Teilen den eines Mandelbackwerks oder unter den Sommersprossen den der Wangen von Mademoiselle Vinteuil. Trotz der schweigenden Unbeweglichkeit des Weissdorns war dies aussetzende und wiederkehrende starke Duften wie das Weben intensiven Lebens, von dem der Altar zu beben schien wie eine ländliche Hecke unter lebendig tastenden Fühlfäden, an die man ohnehin beim Anblick mancher Staubgefässe dachte, die das frühlingshafte Überschäumen, die aufreizende Daseinsbehauptung von Insekten zu haben schienen, deren Verwandlung in Blumen erst soeben vollzogen war.“

„Für mich erhob sich summend darüber der Duft der Weissdornhecken. Diese Hecken bildeten in meinen Augen eine unaufhörliche Folge von Kapellen, die unter dem Schmuck der wie auf Altären dargebotenen Blüten verschwanden; unter ihnen zeichnete die Sonne auf den Boden ein lichtes Gitterwerk, so als fiele ihr Schein durch ein Kirchenfenster; ihr Duft strömte sich so voll und überquellend aus, wie ich ihn vor dem Altar der Muttergottes stehend verspürt hatte, und die ebenso geschmückten Blüten trugen eine jede mit gleicher gedankenlosen Miene ihr schimmerndes Strahlenbündel aus Staubgefässen, feine glitzernde Rippen in spätgotischem Stil wie die, die in der Kirche das Gitter der Empore durchzogen oder die Kreuze der Buntglasfenster, die aber hier die weisse sinnliche Fülle von Erdbeerblüten hatten.“

Solche Weissdornbüsche erträumte ich mir also. Doch der Gärtner pflanzte Schwarzdorn. Man dürfe heutzutage keinen Weissdorn pflanzen, weil der sehr anfällig auf Feuerbrand sei!

Es gibt nur noch einen Trost: Der Neuntöter spiesst seine Insekten auf Weiss- wie auf Schwarzdorn auf. Aber ob ich je einmal einen dieser selten gewordenen Vögel an meinem Schwarzdorn sehen werde?

Der Schwarzdorn heisst übrigens auch Schlehdorn … ´s ist Maientag – na ja!

 

Die Zitate stammen aus: Marcel Proust. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. In Swanns Welt I. Übersetzt von Eva Rechel-Mertens

Leib und Seele – ein Pferd neben einen Ochsen gespannt

Von Freunden erhalte ich hie und da mehr oder weniger geistreiche, witzige oder schöne Powerpoint Präsentationen „zur Aufmunterung“ oder mit Glückwünschen zum Valentin oder Ähnlichem. Die eine scheint mir Grossvater, der seine Enkel manchmal im Auto transportiert, durchaus aktuell zu sein. Jedenfalls weckt sie Erinnerungen an die Zeit, als meine Kinder klein waren oder gar an meine eigene Kindheit. Die Präsentation heisst „Glückliche Kindheit“ und ist so bekannt, dass wohl die eine oder andere sie kennen wird. Darin werden die glücklichen Fünfziger- und Sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts besungen, als Kinder zwar gefährlich lebten, dabei aber noch „frei und glücklich“ waren, weil …

… im Auto weder Sicherheitsgurte noch Kindersicherungen existierten, sodass sie während der Fahrt lustig auf der Sitzrückbank herumtollen konnten;

… sie im Freien ohne Aufsicht und Kontrolle bis zum Einbrechen der Nacht spielen konnten, und niemand wusste, wo sie sich aufhielten;

… wegen Prügeleien und Raufereien kein Kind verklagt wurde;

… niemand wegen schlechten Noten zum Psychologen geschickt wurde;

… man ohne Helm Velo fahren konnte;

… usw.

Die lustige, aber wohl ernst gemeinte, nostalgische Präsentation zieht ein Fazit: Nur so, nur in einer so freien und kindgerechten Welt konnte man zu einer Persönlichkeit heranwachsen. Wahrscheinlich steckt da ein Kern Wahrheit drin. Jedenfalls finde ich, dass Kinder heute oft zu wohlbehütet und zu exakt kontrolliert sind; sie haben zu viele organisierte „Termine“, die fast alle mit Lernen und Leistung und nur sehr oberflächlich mit Spiel und Spass zu tun haben. Hoffentlich irre ich mich da!

A propos Spiel und Spass. In einer anderen Präsentation, die in meinem Computer lagert, verkündet Hermann Hesse: Wenn du zu deinem Vergnügen erst die Erlaubnis anderer Leute brauchst, dann bist du wirklich ein armer Tropf. Die Präsentation heisst „Weisheiten“ und zitiert Sprüche von Brecht, Cicero, Ghandi, Horaz, Platon, Seneca, Tucholsky und vielen anderen. Einige davon sind wirklich bedenkenswert und gefallen mir:

Konfuzius: (551 – 479 v Chr.): Ein Mann, der die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd. Die Metapher gilt wohl auch im heutigen China – und nicht nur dort.

Mark Twain (1835 – 1910): Tatsachen muss man kennen, bevor man sie verdrehen kann. Man kann allerdings auch ohne jedwede Kenntnis Dummheiten verkünden, dünkt mich.
Und:
Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das erröten kann. Es ist aber auch das einzige, das Grund dazu hat.

Aristoteles (384 – 322 v Chr.): Was es alles gibt, das ich nicht brauche. Vor Christi Geburt? Da gab’s doch noch gar keine Konsumtempel!

Brechts Aphorismus zum Krieg habe ich bereits letzten Monat zitiert:
Bertold Brecht (1898 1956): Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.
Von Brecht stammt auch das sehr bekannte: Der Bankraub ist eine Initiative von Dilettanten. Wahre Profis gründen eine Bank.

In einer solchen Sammlung weiser Sprüche darf Wilhelm Busch (1832 – 1908) natürlich nicht fehlen: Ausdauer wird früher oder später belohnt – meistens aber später.

Nein, von Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799) ist in dieser Sammlung weiser Sprüche kein Exempel dabei, was mich doch sehr wundert. Deshalb setzte ich den Titel Leib und Seele – ein Pferd neben einen Ochsen gespannt, der aus Lichtenbergs Sudelbüchern stammt. Wer sich gerne, aber nur auf die Schnelle und dennoch voller Vergnügen mit diesem Philosophen, Satiriker, Naturforscher und Dichter auseinander setzen möchte, greife doch zu dem wunderschönen Buch: „Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen“, in welchem Robert Gernhardt 99 Sprüche aus Lichtenbergs Sudelbüchern mit 99 Cartoons illustriert.

Wer aber das Ganze geniessen will: Die Sudelbücher sind als Taschenbuch 2005 im Deutschen Taschenbuch Verlag München (dtv) erschienen. Sie schmökern darin vielleicht vor oder nach Giaccobo-Müller’s Pointen zur SVP und lesen in den Sudelbüchern: Sie schreiben aus Vaterlands-Liebe Zeug, worüber man unser liebes Vaterland auslacht.