Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser?

Ich war nie in Facebook. Mein Land ist Mailland. (Siehe auch: Jürg Laederach. Depeschen nach Mailland. Suhrkamp. 2009.) Die folgenden Zeilen eines Unwissenden sind also mit Vorsicht zu geniessen.
Wir sassen zu viert auf einer Terrasse an der Aare und waren uns uneinig ob dem sozialen Medium Facebook. Da herrschte die Überzeugung, dass solchen Netzen, solchen Medien die Zukunft gehöre wie etwa dem Cloud-Computing, und dass die politischen Bemühungen um Datenschutz vergebliche Liebesmüh seien: hilflose und nutzlose Versuche zur Rettung von Privatsphären, die sowieso niemand mehr achte. Privatsphäre und öffentlicher Raum liessen sich längst nicht mehr abgrenzen. Schliesslich seien die Zeiten vorbei, wo Frauen öffentlich nicht rauchten, niemand in der Strassenbahn ass oder trank – dafür umso öfter auf den Boden spuckte. Die Zukunft werde wohl ohne Homepages wie diese eschberg-page auskommen – alle würden ihre Texte und Bilder sozialen Netzen anvertrauen. Dagegen gab es aber auch Einwände: In den sozialen Medien verliere man die Kontrolle auf geradezu unheimliche Art. Nichts garantiere, dass Eigenes nicht zweckentfremdet missbraucht würde.
Da ich wie gesagt nie in Facebook war, versuchte ich mich aus der Ferne zu informieren. Während der nächsten Tage las ich die Zeitungen auf diese Problematik hin recht genau. Und es verging fast kein Tag ohne irgendeine das Thema betreffende Schlagzeile:
„Tausend Freunde sind so gut wie keiner.“ (NZZ am Sonntag, 24.6.2012) Die Warnrufe vor sozialen Medien würden immer lauter. Die grösste Gefahr sei die Vereinsamung, schrieb Regula Freuler. – Das hörte man auch, als die ersten Computerspiele aufkamen.
„Der Datenschützer Hanspeter Thür kritisiert die automatische Informationsübermittlung an soziale Netzwerke“ lese ich in der NZZ vom 26. Juni 2012.
Luzi Bernet schreibt in der NZZ vom 27.6.12: „Die sozialen Medien erhöhen die soziale Kontrolle.“
Frau Freuler zitiert aber auch Daniel Miller in „Das wilde Netzwerk. Ein ethnologischer Blick auf Facebook“: „Seit mindestens hundert Jahren konstatieren fast alle sozialwissenschaftlichen Darstellungen den Niedergang der Gemeinschaft in der Moderne. Facebook hilft uns, diese Entwicklung umzukehren.“
Ich lese, dass da Politiker Hasstiraden gegen Asylsuchende auf Facebook platzieren und andere sich sofort beeilen (müssen), sich als „Freund“ davon abzusetzen. Seltsam, dass jemand so etwas ins Netz setzt, offensichtlich die Öffentlichkeit suchend, dann aber abwiegelt und schliesslich doch das Ende der Karriere herbei führen muss. Zunächst „schützte“ ein Parteipräsident seinen Gefolgsmann mit der Bemerkung, so ein Text im Facebook sei einfach nur dumm. Dann aber liess man die heisse Kartoffel doch fallen. Ja: Dumm!
Offenbar hat da die Kontrolle funktioniert – und nicht nur in diesem Fall! Vielleicht hat ja Miller nicht so unrecht. Und den harschen Kritikern sei in Erinnerung gerufen, dass auch das altmodische Email und SMS seine Tücken hat: Florian Ast und Francine Jordi geraten auch ohne Facebook in die Schlagzeilen – die sie ja wohl auch gesucht haben.
Die Jugend aber müsse man halt schon schützen, ihnen zeigen, wie man mit Facebook verantwortungsvoll umzugehen habe, höre ich. Da muss ich nun schon schmunzeln. Das erinnert doch fatal an jene Unterrichtseinheiten in den Fünfziger Jahren: „Wie telefoniere ich“. Oder an jene Episode, wo der Bub nach Hause kommt und dem Vater erzählt, sie hätten in der Schule den Computer behandelt. Was habt ihr denn gelernt? „Wir haben in dieser ersten Stunde gelernt, wie man den Computer ein- und wieder ausschaltet.“ Ach, wir Erwachsenen!
Ich bin mir aber doch noch sehr unsicher, ob, und falls ja, wann ich Facebook einen Besuch abstatten soll.

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