Mann, eine Treppe herabsteigend

Langsam und steif steige ich die Treppe vom Clublokal zum Ausgang hinunter. Man bewegt sich im Alter nicht mehr so gelenkig, biegsam, elegant und schnell wie in der Jugend – ist klar. Deshalb sieht man einem Menschen ja von weitem an, ob er alt oder jung ist, auch wenn man ihn nicht im Detail wahrnimmt. Man sieht, wie er sich bewegt.

Bewegung ist Leben; Leben ist Bewegung. Wie, so fragten sich kurz nach 1900 viele Künstler, wie stelle ich in meinen Bildern Bewegung dar? Die ersten Serienfotos wurden veröffentlicht. Ein Pferd, das an vielen Kameras vorbei galoppierte, dabei einen Faden nach dem andern zerriss, welche die Kameras auslösten – und man sah ein Daumenkino, wenn man die Fotos rasch durchblätterte.

Also malte Marcel Duchamp 1912 das Bild „Akt, eine Treppe herabsteigend Nr. 2“, das weltberühmt werden sollte.

duchamp

Bald danach gab er allerdings die Malerei auf. Ein Besuch einer Luftfahrtausstellung hatte ihn sehr beeindruckt: Duchamp bemerkte angesichts der technischen Innovationen zu Brâncuşi, einem berühmten Plastiker: „Die Malerei ist am Ende. Wer kann etwas Besseres machen als diese Propeller? Du etwa?“

Zwischen 1928 und 1933 beschäftigte er sich hauptsächlich mit Schach. Am Schachspiel faszinierte ihn auch der visuelle Aspekt, der durch die Bewegungen der Schachfiguren auf dem Brett entsteht. Mit John Cage spielte er eine Schachpartie, bei der durch Sensoren im Schachbrett Tonfolgen ausgelöst wurden. In René Clairs Kurzfilm aus dem Jahr 1924, Entr’acte, spielte Duchamp mit Man Ray Schach auf dem Dach des Théâtre des Champs-Élysées, während Francis Picabia, auch ein berühmter Maler, sie mit Wasser bespritzte. Er nahm zusammen mit der französischen Nationalmannschaft, deren Mitglied er 1930 wurde, an fünf Schacholympiaden teil. Seine Partie gegen Jerzy Kleczynski an der Olympiade 1924 eröffnete er mit Schwarz wie folgt – und gewann:

1. e4 Sf6
2. e5 Sd5
3. c4 Sb6
4. d4  d6
… [Die Partie ist in der Database von Chessbase veröffentlicht. Dort finden sich insgesamt dreizehn Partien Duchamps.]

Ich hingegen habe soeben mit Weiss meine Partie verloren:

1. d4     Sf6
2. c4       g6
3. Sc3   Lg7
4. e4      d6
… [Nachspielen lohnt nicht!]

An meinem steifen Schritt die Treppe hinab ist also wohl nicht bloss das Alter schuld!
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Marcel Duchamp (* 28. Juli 1887 in Blainville-Crevon; + 2. Oktober 1968 in Neilly-sur-Seine), eigentlich Henri-Robert-Marcel Duchamp, war ein französisch-US-amerikanischer Maler und Objektkünstler. Er ist Mitbegründer der Konzeptkunst und zählt zu den Wegbegleitern des Dadaismus und Surrealismus. Nach ihm ist der Prix Marcel Duchamp benannt. Er nahm an den Schacholympiaden 1924 in Paris, 1928 in Den Haag, 1930 in Hamburg, 1931 in Prag und 1933 in Folkestone teil. [Quelle: WikipediA]

2 Gedanken zu „Mann, eine Treppe herabsteigend“

    1. Ja, eine Hauptfigur in Schlinks „Die Frau auf der Treppe“, der Maler Schwind, will beweisen, dass Duchamp mit seiner Ansicht, die Malerei sei am Ende, unrecht habe. Er, Schwind, male ein Meisterwerk: Die Frau auf der Treppe. Das Werk wird tatsächlich ein Welterfolg. Also versetzt auch der Schriftsteller Schlink Duchamp ins Unrecht.

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