Die Enkelin lernt lesen

ZUERST NUR MIT GROSSBUCHSTABEN.

Grossvater wird gebeten, Lesetexte zu produzieren, die eine Erstklässlerin verstehen und geniessen und eben auch, wenn auch vielleicht mit fremder Hilfe, allenfalls, nicht wahr, lesen kann oder können sollte.

ABER BITTE NUR KURZE SÄTZE!

Grossvater setzt sich hin und schreibt:

Wir Schweizerinnen und Schweizer leben in der ältesten Demokratie der Welt, wählen unser Parlament und können über alles und nichts abstimmen.

Grossvater hat aber seine Zweifel: Nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten wählt auch tatsächlich. Bei Abstimmungen sind es meist noch weniger. – Zudem ist der Satz zu lang. – Und überhaupt: Alles ist immer so kompliziert, und überall gibt es dieses „Lieber nicht“ oder „Vielleicht doch“, dieses „möglicherweise wäre es anders doch vernünftiger“ …

Machen wir es also kurz und in grossen Lettern:

SCHWEIZER WÄHLEN …

Fast ein Drittel der Wählenden im Oktober 2015 wollte es kurz und einfach, quasi in Grossbuchstaben und wählte …

Die Schweiz ist eines der am besten alphabetisierten Länder. 99% der Bevölkerung sind alphabetisiert. Die OECD definiert: „Eine Person wird als alphabetisiert bezeichnet, wenn sie eine kurze, einfache Aussage zu ihrem alltäglichen Leben mit Verständnis sowohl lesen als auch schreiben kann.“ Und doch! Das Bundesamt für Statistik stellt fest: „In der Schweiz verfügt 1 von 6 Personen nicht über jene Lese- und Schreibkompetenzen, die es ihr ermöglichen, ihren privaten und beruflichen Alltag selbstständig zu bewältigen.“

Grossvaters Enkelin, so denkt er, sollte doch lernen, lange, komplizierte Sätze zu lesen. Später jedenfalls. Wenn es dann nicht zu spät sein wird, weil es nur noch einfache, kurze Sätze geben könnte.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert