Von Uhren und Wanderern

Jene ganz alten Zeiten, in denen die Menschen ihr Leben noch nicht nach der Uhr am Arm richteten, sondern nach dem Sonnenstand oder der Kirchturmglocke, jene Zeiten sind längst vorbei. Exotisch wirkt auf uns heute auch die Szene, die ich, so glaube ich, einmal in einem Roman von B. Traven gelesen habe, vielleicht in Der Schatz der Sierra Madre. Sie ist aber wohl ganz allgemein bekannt: Ein Weisser fragt einen Indianer (Traven schrieb halt noch political uncorrect) nach dem Weg und wie lange er wohl noch gehen müsste, bis er am Ziel sei. Der Indianer gab Auskunft, meinte aber, er wisse natürlich nicht, wann der Fremde dort ankommen werde. Also marschierte der Weisse nur halb zufrieden los und hörte dann den Indianer hinter sich herrufen: „Sie brauchen noch drei Stunden bis Buffalo.“ Er habe halt zuerst sehen müssen, wie schnell der andere laufe!

Heute geht ja die Klage, dass alles unnatürlich schnell verlaufe, viel zu schnell; man müsse von da nach dort hetzen, im Auto, im Flugzeug, im Büro, beim Joggen. Nur, so klagen andere, nur die Computer seien halt immer noch zu langsam.

Und das Gehetze sei ja nur möglich, weil uns allenthalben Uhren an den viel zu raschen Flug der Zeit mahnen würden, Uhren am Arm, am Kühlschrank, am TV-Gerät; Uhren am iPhone oder Smartphone; Uhren am Kirchturm mit ihren viel zu frühen, noch nächtlichen, viel zu lauten Glockenschlägen.

Aber immer wieder versuchen Menschen, aus dieser alltäglichen Raserei und Hetzerei auszubrechen. Slow down ist ihr Motto und Slow Food ihre Nahrung. So gibt es denn als Gegenwehr gegen die permanente Verfügbarkeit und die andauernde, pausenlose Kommunikation mit der halben Welt per Handy, Facebook und Internet neben dem iPhone auch einen iStone: eine perfekte Kopie des iPhone oder Smartphone aus Granit, the smARTphone von Horst Bohnet für noch nicht einmal hundert Franken: Du bleibst garantiert offline und hast Zeit für Deine Gesprächspartner und Gäste, kein Klingelton stört, keine Uhr schwatzt Dir drein.

Und dann sitzt da bei Aeschbacher im Fernsehen ein Uhrmacher, baut seine Uhren alle von Anfang bis Ende von Hand, jede Uhr ein Unikat, in jeder steckt Arbeit von fast einem halben Jahr. Ein Modell trägt einen schwarzen Spiegel, sodass niemand die Zeit ablesen kann; als Besitzer geniesst Du zeitlos die Gegenwart. Das kostet allerdings mehr als hunderttausend Franken! Also begnüge ich mich mit dem iStone!

Auch am Fernsehen wird die Gegenwelt zu den hyperaktiven, kompetitiven Joggern zelebriert: Nick Hartmann wandert gemütlich über Stock und Stein und hat Zeit, mit den Menschen zu reden. Gäbe es heute noch am Wegrand sitzende Indianer, sie würden ihm fröhlich zuwinken.

Nein, das ist kein Lob der guten alten Zeit. Es ist bloss der Hinweis darauf, dass es sich wohl lohnt, nicht immer und überall und sofort und auf Knopfdruck …

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