Im Zug zu Dürrenmatt

Während der Fahrt im Neigezug von Zürich nach Neuenburg mit dem Ziel Centre Dürrenmatt erinnerte ich mich wieder an jene Episode, die auf mich beinahe absurd wirkte, und die ich meinen Begleitern aus dem Literaturzirkel sogleich erzählte.

Vor Jahren sass ich allein in einem solchen Neigezug, unterwegs zu einer Tagung in Solothurn. Ich war gut vorbereitet, musste also keine Akten mehr studieren, sondern las in Dürrenmatts früher Prosa, die ich zu Hause eingepackt hatte, die Erzählung Der Tunnel. Erst nach einiger Zeit, als der Kondukteur mein Billet kontrollierte, sah ich auf und stellte verblüfft fest, dass ich im Zug Friedrich Dürrenmatt sass, welcher Zufall! – Alle diese Züge tragen Namen berühmter oder wenigstens bekannter Schweizer: Adolf Wölfli, Niklaus Riggenbach, Alfred Escher, usw. – An den Wagonwänden fanden sich Zitate aus Dürrenmatts Werken, darunter auch das bekannte, wonach eine Geschichte erst dann zu Ende erzählt ist, wenn ihr schlimmstmögliches Ende erreicht ist. Belustigt vergrub ich mich wieder in Dürrenmatts Geschichte bis ich bemerkte, dass der Zug still stand. Und zwar mitten im Feld, kein Bahnhof weit und breit. Da kam der Kondukteur in den Wagen und bat uns Passagiere, nach vorne zu gehen bis zu vorderst im Zug. Wir hätten eine Panne und könnten nicht mehr weiter. So trotteten wir denn einer hinter dem andern irgendwie verunsichert die schmalen Gänge nach vorne durch unbequeme Durchgänge von einem Wagen zum andern. Nach vorne, immer weiter nach vorne bis vor den Führerstand, der aber leer war. „Da sassen wir noch in unseren Abteilen und wussten nicht, dass schon alles verloren war“ dachte er. … Doch wie sich die Maschine weiter hinabsenkte, um nun in fürchterlichem Sturz dem Innern der Erde entgegen zu rasen … schrie der Zugführer durch das Tosen der ihnen entgegen schnellenden Tunnelwände hindurch „Was sollen wir tun?“ „Nichts. Gott liess uns fallen und so stürzen wir auf ihn zu.“ Zuvorderst stiegen wir endlich aus, wurden etwas später in einen alten, wohl fast schon ausrangierten Zug komplimentiert und zum nächsten Bahnhof gefahren. Der Neigezug Friedrich Dürrenmatt blieb im Feld zurück.

Im Centre Dürrenmatt erwartete uns eine interessante Ausstellung zu Dürrenmatt & Ionesco.

2 Gedanken zu „Im Zug zu Dürrenmatt“

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