500 Jahre Reformation

Heftli und Zeitungen überbieten sich dieser Tage mit der Korrektur des tradierten Zwinglibildes: Er sei nicht der Hohepriester der Lustfeindlichkeit gewesen, schreiben sie. Er sei witzig, aufgeschlossen, begabt und sehr gebildet gewesen. Ein liebender Ehemann und freundlicher Vater von vier Kindern. Franz Rueb, der eine neue Zwingli-Biografie geschrieben hat, betont darin, dass Zwingli die wohl schönste Frau Zürichs geheiratet habe.

Auch wenn in einer Zeitung im Kommentar zu Ruebs Biografie zu lesen ist, Zwingli sei kein Zwinglianer gewesen, bleibt mir dennoch das Bild des Bilderstürmers und des Kriegsmannes. Jedenfalls gilt für Zürich bis weit in die sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts hinein: Eine ordentliche, saubere, rechtschaffene, brave Stadt, die beileibe nicht durch Freude und Lust, Übermut und Lebensfreude besticht. Und ich zitiere wieder einmal Max Weber: „Als ein Gespenst ehemals religiöser Glaubensinhalte geht der Gedanke der „Berufspflicht“ in unserem Leben um.“ In „Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus“. (Wobei Weber vor allem Calvin im Auge hatte.)

Aufgewachsen in einer protestantischen Familie war es uns Kindern verboten, an der Fasnacht teilzunehmen, diesem „katholischen, unzüchtigen Treiben“. Dafür erduldeten wir die sonntägliche Kinderlehre in einer kahlen, kalten Kirche.

Im Zürcher Oberländer finde ich ein Interview mit Hans Zoss, ehemaliger Pfarrer und Direktor der Strafanstalt Thorberg. Zwei Passagen haben mich darin besonders beeindruckt:

„Wer Theologie studiert hat, weiss, wie die biblischen Schriften zustande kamen, wie sie einander widersprechen und dass man sie nicht wörtlich nehmen darf und kann, sondern ernst.“

„Ich bin ein Oben-ohne-Theologe. Ich glaube nicht, dass es einen Gott als Wesen gibt, das meinen Alltag steuert. Warum traut man sich nicht offen zu sagen, dass Gott vielleicht eine Chiffre für Hoffnung, für Mut ist? Albert Schweitzer hat von einem universalen Willen zum Leben gesprochen. Dem kann ich als Theologe am ehesten ‚Gott’ sagen.“

Franz Rueb. Zwingli. Widerständiger Geist mit politischem Instinkt. Hier und Jetzt Verlag. 2016

Zürcher Oberländer vom Samstag, 7. Januar 2017 (S.21)

 

4 Gedanken zu „500 Jahre Reformation“

  1. Gemein, dass ‚dies und das‘ wieder zuoberst in der Liste ist.
    Darum habe ich, der immer nur zuunterst hinschaute, dies erst jetzt bemerkt.
    Es ist und bleibt eine äusserst interessante und lesenswerte Rubrik!
    Danke, lieber Werner

  2. Als ich „dies und das“ setzte, habe ich doch tatsächlich die Macht des Alphabets unterschätzt! Und muss nun auf die Flexibilität der geneigten Leserschaft vertrauen. Aber zum biblisch angehauchten Text zur Reformation passt die zeitliche Umkehrung vielleicht: Die Letzten werden die Ersten sein.

  3. Dieser Tage kam mir ein Buch von Ueli Greminger, Pfarrer an St. Peter in Zürich, in die Hand, in dem die Geschichte eines mir unbekannten Reformators beschrieben wird, Sebastian Castellio. In Savoyen als Bauernbub aufgewachsen wird er zum Gegenspielers von Johannes Calivin. Castellio ist ein Mann, der an die Liebe und nicht an Vorschriften glaubte, ein unerschrockenen Vorkämpfer für religiöse Toleranz. Ihn entsetzt, dass mit Billigung von Calvin in Genf ein Mann ermordet wird, der eine andere religiöse Haltung vertritt als Calvin. Er betrachtet dies als Rückfall in die Inquisition und veranlasst ihn, Calvin mit aller Kraft zu bekämpfen.
    Mir ging durch den Kopf: Hat nicht Zwingli Ähnliches gebilligt: die Ersäufung von Wiedertäufern? Passt das zum lebensfrohen Menschen, wie er oben beschrieben wird? OK, die von Franz Rueb verfasste Biographie steht noch auf meiner Leseliste …

  4. Castellio kannte ich nicht, nur über Michael Servetus habe ich bereits gelesen. Castellio ein früher basler Aufklärer? Ich werde mir das Buch von Ueli Greminger erstehen.
    Hab‘ Dank für den wertvollen Hinweis, lieber Emil.

Schreibe einen Kommentar zu Emil Wettstein Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert