Internierte im Girenbad Hinwil

Der Wikipedia-Eintrag zum Hinwiler Girenbad führt zwei Persönlichkeiten auf: Joseph Schmidt (1904 – 1942) und Bundesrat Ueli Maurer (* 1950). Joseph Schmidt bin ich in Lukas Hartmanns historischem Roman «Der Sänger» begegnet. Joseph Schmidt war in den dreissiger Jahren in der Tat ein sehr umschwärmter und quasi weltweit sehr berühmter Tenor gewesen. Er stammte aus einer jüdischen Familie in Davideny, Bukowina, damals Österreich. In den vierziger Jahren floh er vor den Nazis nach Südfrankreich und gelangte 1942 schliesslich illegal in die Schweiz. Er wurde ins Internierungslager im Girenbad eingeliefert und starb dort wenige Wochen später am 16. November 1942 in einem Zimmer des Restaurants Waldegg im Girenbad.

Ich finde Hartmanns Buch grossartig und bin tief beeindruckt, ja schockiert vom Schicksal dieses begnadeten Sängers im Zürcher Oberland. Lukas Hartmann verweist in seinem abschliessenden Dankeskapitel auf die Homepage www.josephschmidt-archiv.ch, geführt vom Tenor Alfred Fassbind in Dürnten. Hier lese ich, dass am Haus der Waldegg eine Gedenktafel an Joseph Schmidt angebracht sei. Obwohl wir häufig Käse im Girenbad kaufen, haben wir die Waldegg und die Tafel noch nie gesehen. Also los: suchen! Und hier ist sie, fast unmittelbar neben der Käserei Bieri. Die Waldegg ist zwar kein Restaurant mehr, aber die Tafel ist noch da:

 

Und im Web bei Herrn Fassbind kann man Joseph Schmidt auch singen hören: grossartig!

 

Das Gebäude, in welchem die Internierten einquartiert waren – unter ihnen übrigens auch Manès Sperber, der auch aus der Bukowina stammte – haben wir nicht gefunden. Es war damals tatsächlich eine «gnadenlose Zeit», unmenschlich auch das Verhalten von Menschen in unserer Gegend.

Wikipedia übergeht übrigens die Internierung Sperbers, heisst es da doch einfach:
„…  flüchtete er im Herbst 1942 in die Schweiz. Nach Kriegsende 1945 kehrte Sperber nach Paris zurück.“
Rudolf Isler behandelt Sperbers Aufenthalt im Girenbad auf knapp zwei Seiten. Darin zitiert er Manès Sperber wie folgt: „In diesen Lagern, in denen die Internierten völlig rechtlos waren, wurde ihnen selbst der Versuch, sich zu beschweren, strengstens verboten, als ob die Beschwerde ein Akt der Meuterei wäre. Jene, die diese Lager so gewollt und geleitet haben, handelten im Sinne Adolf Hitlers.“ (S. 64)

Lukas Hartmann. Der Sänger. Diogenes Verlag AG. 2019
Rudolf Isler: Manès Sperber. Zeuge des 20. Jahrhunderts. Eine Lebensgeschichte Vorwort: Daniel Cohn-Bendit. 2. Auflage. Aarau: Sauerländer & Cornelsen 2004

2 Gedanken zu „Internierte im Girenbad Hinwil“

  1. Der Sänger – eine himmeltraurige Geschichte. Sie geht mir unter die Haut.
    Sie lässt mich aber auch fragen: wie kommt es, dass Menschen, wie der Major, Leiter des Girenbader Lagers, so grausam handeln? Welche Erziehung hat jener Zürcher Arzt wohl genossen, der nicht bereit war, Herz und Lunge von Schmidt zu untersuchen, der also am Tod von Schmidt – mindestens! – mitschuldig war? Er hat wahrscheinlich am Rämibühl das Gymnasium besucht (wohl mit Latein, vielleicht sogar mit Griechisch), dann an der Universität Zürich studiert. Er war wohl überzeugt, richtig zu handeln. Wer schreibt die Geschichte dieses Arztes oder jenes Majors?
    Ich möchte verstehen, wie es so weit kommen konnte. Und noch lieber wäre es mir zu erfahren, wie man es damals hätte besser machen können. Diese Frage beschäftigt mich seit meiner Jugend, seit Alfred A. Häslers „Das Boot ist voll“. Ich habe manche Schilderung gelesen, wie schlimm auch in der Schweiz gehandelt wurde, aber ich erinnere mich nicht, je eine glaubhafte Darstellung zu lesen, wie man es hätte besser machen können.
    Und dabei wäre genau das so wichtig, denn auch heute wird gefragt, ob das Boot „Schweiz“, das Boot „Italien“, das Boot „Europa“ voll ist.

  2. «Wie hätte man es damals besser machen können?» Oder: «Machen wir es heute besser?» Ist denn die Welt nicht immer noch voller Ungerechtigkeiten, voller Grausamkeit? Richtig: Das Boot ist wiederum voll! Und jene Stimmen, die einmal riefen: «Wir schaffen das!» oder «Yes, we can!» werden heute ausgelacht. Urs Widmer beobachtet, wie «die Harten von damals» als die Coolen von heute wieder die Welt beherrschen:
    ‚Die Werte der Sieger sind gut, die Werte der Verlierer schlecht. Es gibt kein Sowohl-als-auch. Es gibt keine Ambivalenz. Die Harten von damals sind die Coolen von heute, und die Alphatiere von heute joggen um sechs Uhr früh durch den Wald, um gesund zu sein, gesund und kompetitiv, und man hat auch bei ihnen zuweilen den Verdacht, dass sie in den Nicht-so Gesunden und weniger Kompetitiven, wie einst die Faschisten, unwertes Leben sehen.
    Im Modell der modernen Ökonomie schlummert also faschistisches Denken.’
    (Urs Widmer. Das Geld, die Arbeit, die Angst, das Glück. Diogenes. Zürich 2002) Eine andere Stelle in diesem Buch lautet: „Wir sind politisch korrekt bis zum Gehtnichtmehr. Aber die Ungeheuerlichkeiten dieser Welt werden seltsam ruhig hingenommen.“ Auch das trifft zu. Millionen von Toten, damals. Wir wissen das. Aber der Sänger im Girenbad?!
    Der Holocaust, das waren doch die Nazis, die Deutschen – gut, es machten auch noch andere mit – aber doch nicht Menschen im Zürcher Oberland! Der Schreck fährt einem in die Glieder, wenn die Weltgeschichte so nahe kommt, bis nach Hinwil und Dürnten!
    Auf Empfehlung eines Freundes las ich von Yuval Noah Harari «Eine kurze Geschichte der Menschheit». Auf 500 Seiten geht er der Frage nach, was für ein Wesen der Homo Sapiens denn sei und woher das Böse in der Welt komme. Letztlich wissen auch die 500 Seiten nicht, «wie man es hätte besser machen können». Und was er über den Weizen, über die Familie, den unsterblichen Menschen und Cyborgs schreibt, ist überaus anregend.

Schreibe einen Kommentar zu Werner Heller Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert