Da wo das Leben noch lebenswert ist

Wir sind als Stammgäste eines Bistro in Zürich zu einem feinen Apéritif geladen. Das Wirte Ehepaar feiert das zehnjährige Jubiläum und dankt uns die treue Kundschaft – eine nette Geste. Im Laufe des schönen Herbstabends stellt sich dann heraus: Die Wirtsleute verlassen das zürcherische Bistro Le Puy und wandern aus in die Bretagne, eröffnen dort eine Bar, ein Bistro und laden uns nun ein, ihnen auch in Frankreich treu zu bleiben und sie wenn möglich und je nach Lust und Vermögen auch finanziell zu unterstützen. Da verschwindet also eine Zürcher Adresse, die wir sehr zu schätzen wussten, die wir oft besuchten, in der wir wirklich eine feine französische Küche genossen. Das stimmt nun doch etwas traurig – und die Bretagne ist halt weit weg.

Und es erinnert mich an andere Restaurants, die ich lieb gewonnen hatte, und die es nicht mehr gibt. Die Lebensdauer solch gastfreundlicher Häuser samt der Verweildauer ihrer Wirtsleute scheint doch kürzer zu sein als ich es mir wünschen würde.

Da war einmal die Rossweid in Gockhausen mit der hohen, offenen Holzdecke, einer sehr schönen Zimmermannsarbeit, mit den von mir sehr geschätzten Tripes à la mode de Caen oder dem Züri-Gschnätzlet mit Nieren, wie es sich gehört. Das Restaurant wich einer Wohnüberbauung.

Später ass ich oft im Restaurant Gonzalez zu Mittag, spanisch mit herrlicher Parillada, mit einem schönen, hinter dem Haus ruhig liegenden Garten. Wir feierten hier einige Familienfeste. Herr und Frau Gonzalez zog es nach Spanien!

Es wäre übertrieben, Lebensabschnitte nach den jeweils meist frequentierten Restaurants zu benennen. Doch immerhin: Als sich mein Berufsleben weitestgehend in Bern abspielte, fühlte ich mich in der Casa d’Italia wohl. Zurück im Kanton Zürich ass ich mittags mit den Arbeitskollegen und oft am Abend mit Familie und Freunden in der Rossweid bei Attingers und als meine Büros in der Stadt Zürich lagen, genoss ich das Gonzalez. Das Le Puy wurde das Bistro meiner bisherigen Rentnerjahre.

Denke ich an «meine» Restaurants, so kommt mir Peter Alexanders Schlager in den Sinn: «… da wo das Leben noch lebenswert ist.» Doch der wichtigste Grund, immer wieder an diesen Orten einzukehren, sind natürlich die Wirtsleute. Es bildete sich über Jahre jeweils eine solide, freundliche, persönlich bereichernde Beziehung heraus, die dann plötzlich abbrach und irgendwie fehlte. Aber klar: Ich werde neue Häuser, neue Gärten, neue feine Gerichte, neue nette Wirtsleute kennen und schätzen lernen – hoffentlich. Und nächstes Jahr fahren wir in die Bretagne!

Da fällt mir auf: Die Casa d’Italia, die ich in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts so häufig frequentiert hatte, die gibt es immer noch und sieht im Internet beinahe so aus wie damals.

Ein Gedanke zu „Da wo das Leben noch lebenswert ist“

  1. Ach ja, da war ja noch die Sonne in Küsnacht. Zu Mittelschulzeiten sassen wir da zu viert über Mittag, assen ein Sandwich aus zwei dicken Ruchbrotscheiben mit Butter und Schinken, in der Küche in vier Teile geschnitten, tranken ein Bier und jassten. Zuverlässig trat jeweils der Wirt, Herr Guggenbühl, in die untere Gaststube, durchquerte sie zügig, nahm die wenigen Treppenstufen zur oberen Gaststube, und genau in diesem Moment fiel die Tür weit hinter ihm sanft ins Schloss, der er beim Eintritt einen nachlässigen Schubs versetzt hatte. Nie krachte sie zu, nie blieb sie offen, immer ertönte dieses ruhige, wohl tönende Einschnappen.

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