Welches Buch unter den Weihnachtsbaum?

Wohl werden die Tage kürzer und die Abende länger; die Eltern in der Siedlung Eschberg werden deshalb kaum mehr Zeit und Musse zur Lektüre haben, denn die Festtage wollen vorbereitet sein, die Kinder verlangen Einsatz bis spät abends, und wenn dann doch einmal ein sonniger Samstag oder ein angenehmer Abend lockt, so gilt es, die letzten Gartenarbeiten zu erledigen.
Dennoch habe ich einmal in all meinen Texten auf www.eschberg.ch nachgeschaut, welche Dichter und Schriftsteller da erwähnt oder zitiert sind mit einem Gedicht oder einem kurzen Prosaabschnitt – und ich habe mich gefragt, welche Autorin oder welcher Autor aus meiner Sicht fehlt. Dies würde dann quasi eine Empfehlung ergeben für ein Buchgeschenk unter den Weihnachtsbaum.

Zunächst einmal die Liste jener Werke, die ich bereits einmal erwähnt habe:
Aischylos: Die Perser
Klaus Bartels: Veni vidi vici
Peter Bichsel: Cherubim Hammer
Bertolt Brecht: Dreigroschenoper. Mackie Messer
Wilhelm Busch: Münchener Bilderbogen. Der hohle Zahn
Umberto Eco: Im Namen der Rose ; Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass
Friedrich Hebbel: David und Goliath
Michael Hermann und Heiri Leuthold: Atlas der politischen Landschaften. Ein weltanschauliches Porträt der Schweiz
Arthur Honegger: Freitag oder die Angst vor dem Zahltag
Ernst Jandl: lichtung
Erich Kästner: Im Auto über Land
Gotthold Ephraim Lessing: Lied
Hugo Loetscher: War meine Zeit meine Zeit
Lukas: Weihnachtsgeschichte
Conrad Ferdinand Meyer: Der römische Brunnen
Manuel Vázquez Montalban: Unmoralische Rezepte
Christian Morgenstern: Unter Zeiten; Der Seufzer
Rainer Maria Rilke: Herbstlied
Jean Jacques Rousseau: Rêveries du promeneur solitaire
Daniel Tammet: Elf ist freundlich und Fünf ist laut
Volkslied: D’s Vreneli ab em Guggisberg
Peter von Matt: Wörterleuchten
Wolfram von Eschenbach: Parzival

Soweit so einfach. Und was fehlt nun? Womit soll ich mich in die Nesseln setzen? Mit der Recherche du temps perdu von Marcel Proust? Aber das sind mehrere hundert Seiten, auf denen in filigraner Feinarbeit die Mechanismen unserer Seele und das Funktionieren des Gedächtnisses herausgearbeitet werden, auf denen gezeigt wird, was geschieht, wenn Menschen sich lieben und wenn diese Liebe langsam erlischt. Mit Andrea Camilleri, dem Sizilianer, der so herrliche Krimis schreibt – ‚Die Stimme der Violine’ beispielsweise. Mit Douglas R. Hofstadter: Gödel, Escher, Bach. Ein endloses, geflochtenes Band – aber da muss jemand mathematisch sehr interessiert sein und einen langen Winter hindurch viel Zeit haben. Oder Siegfried Lenz: Schweigeminute. Eine kleine, schöne, schön traurige, sanft geschriebene Liebesgeschichte. Ja. Lenz! Oder auch Camilleri!!

Wenn es Nacht wird im Eschberg …

… Steh ich am Herd, brate geschnetzeltes Kalbfleisch kurz an, würze es und stelle es warm, brate die klein geschnittenen Champignons und schliesslich die Kalbsniere und serviere alles an feiner Rahmsauce. Wegen der Niere bereite ich mir oft das Zürcher Geschnetzelte zu Hause zu. Fast kein Wirt wagt es noch, sie zu servieren. Dabei macht genau diese Mischung aus feinem, teurem Zürichberg-Kalbfleisch und deftiger, billiger Niere von jenseits der Sihl die soziologisch-politische Qualität dieses Gerichts aus, schreibt Hugo Loetscher in seinem dieses Jahr posthum erschienen Buch „War meine Zeit meine Zeit“.

… Fahren wir ans Schauspielhaus in Zürich und hören Niklaus Wirth zu, dem grand old man der Schweizer Informatik, Erfinder von Pascal, Modula und Oberon, der von den Technikern, Ingenieuren und Informatikern mehr Sorgfalt und präziseres Arbeiten wünscht und von uns allen mehr Bescheidenheit. In den Schulen müsse viel mehr Naturwissenschaften und Mathematik gelehrt werden, da seien die meisten beinahe Analphabeten! Jedermann navigiere heutzutage mit GPS ohne zu verstehen, welche Gleichungen von Einsteins Relativitätstheorie dafür sorgten, dass wir präzise den Zielort fänden. – Wir fanden spätnachts den Nachhauseweg in den Eschberg ohne Einstein.

… Schalten wir die TV an und sehen uns die Aufzeichnung einer Sternstunde Philosophie an, in der Umberto Eco plaudert. Sie kennen ihn, den Autor von „Im Namen der Rose“. Ein dicker Schmöker! Sein dünnes Büchlein „Derrick oder die Leidenschaft für das Mittelmass“ gefällt mir da besser. Sehr hübsch darin ist „Ein neuer Heiliger Krieg: Mac gegen DOS“. Während der Plauderei fällt der Satz: Tiere lachen nicht, nur der Mensch lacht. Ich weiss nicht: Im Kaltbrunner Ried habe ich zwei Füchse beobachtet, die während einer guten Stunde mit trockenen Schlammstücken spielten wie Katzen, sie in die Luft warfen, ihnen nach sprangen, sie sich wegschnappten – von weitem meinte ich, ihr Lachen zu hören.

… Werfen wir die Würfel aus dem Becher: Fullhouse! Und erinnern uns an die Erläuterung von Klaus Bartels zum lateinischen alea iacta est, das meist mit „die Würfel sind gefallen“ interpretiert wird. Dabei sagte Caesar, als er den Rubikon überschritt, „die Würfel sind geworfen“ im Sinne von: Man kann nicht mehr zurück, mal sehen, ob es Sieg oder Niederlage gibt, ob Fullhouse oder No pair. (Klaus Bartels: VENI VIDI VICI. Geflügelte Worte aus dem Griechischen und Lateinischen)

… Essen wir vor dem Schlafengehen ein Tomatenbrot (Rezept für 2 Personen):
4 Scheiben Weissbrot vom Vortag
2 sehr reife Tomaten
2 EL Olivenöl
Salz
Tomaten halbieren und mit der Schnittfläche jeweils auf einer Scheibe Brot verreiben, so dass Kerne und Fleisch vom Brot aufgesogen werden und nur die Schale übrig bleibt.
Die feuchten Brote salzen und mit Olivenöl beträufeln; das Brot am Rand zusammendrücken und wieder loslassen, damit sich das Öl besser verteilt.
Quelle: Manuel Vázquez Montalban: Unmoralische Rezepte. Illustriert. Piper. 2001
Was daran unmoralisch sein soll, müssen Sie halt im Buch nachsehen und nachlesen.

Hört den Rat einer schlichten Frau

Fragte mein Freund: „Where the hell is Dürnten?“ Na, er lebt in Urdorf, und zwischen Urdorf und Dürnten liegt halt eine Weltstadt, Zürich, Limmat-Athen – man muss Verständnis haben. Mich erinnerte die Frage aber an eine sehr viel ältere: „Wo, ums Himmels Willen, liegt dieses Athen?“ Atossa, die persische Herrscherin, Mutter des besiegten Xerxes, fragt so in Aischylos Tragödie „Die Perser“. Der siegreiche Grieche Aischylos schreibt eine Tragödie aus der Sicht der Besiegten und zeigt sehr viel Verständnis für sie, respektiert sie; ein sehr frühes Zeichen der Toleranz (472 v. Chr.).

Where the hell is Dürnten? Ziemlich nahe von Eschenbach. Wolfram von Eschenbach – ich weiss, das ist ein ganz anderes Eschenbach als das unsere – schreibt zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts in seinem Epos „Willehalm“ eine eigentliche Toleranzrede. Gyburc hält sie, die arabische Königstochter, christlich getauft, in einen abendländischen König verliebt, von ihm entführt, weshalb es in der Provence zum Krieg zwischen Arabern und europäischen Rittern kommt. Eine mörderische Schlächterei. Da legt Wolfram dieser Königstochter die folgenden Verse in den Mund:

Hört den Rat einer schlichten Frau:
verschont Geschöpf aus Gottes Hand!
Ein Heide war der erste Mensch,
den Gott erschaffen hat. Elias
und der Enoch, glaubt es mir,
sie sind zwar Heiden, doch erlöst.
Auch Noah zählte zu den Heiden:
er überlebte in der Arche.

Zitiert nach: Dieter Kühn: „Der Parzival des Wolfram von Eschenbach“. Insel Verlag, 1986

Ende November ist wieder eine eidgenössische Volksabstimmung.

Für die Freunde von Gedichten

Ein lieber Freund fragt mich, wann denn das nächste Gedicht auf dieser Homepage zu lesen sei. Nun denn:

Gotthold Ephraim Lessing
Lied. Aus dem Spanischen

Gestern liebt’ ich,
Heute leid’ ich,
Morgen sterb’ ich:
Dennoch denk’ ich
Heut und morgen
Gern an gestern.

Ich habe es gefunden in:
Peter von Matt. Wörterleuchten. Kleine Deutungen deutscher Gedichte.
Das ist ein Buch, das ich allen Freunden von Gedichten nur wärmstens empfehlen kann. Sie finden darin so Bekanntes wie
̉s ist Krieg! ̉s ist Krieg! O Gottes Engel wehre, und rede du darein!
oder
Sah ein Knab’ ein Röslein stehn
und
Seltsam, im Nebel zu wandern!
mit jeweils überraschenden und sehr gescheiten Deutungen. Und Unbekannteres wie etwa

Friedrich Hebbel
David und Goliath

Diesen Riesen zu töten, war leicht für den mutigen Hirten,
Welcher, im Schleudern geschickt, sicher versandte den Stein.
Schwerer fand er es schon, den Toten des Haupts zu berauben,
Doch es gelang ihm zuletzt durch den doppelten Streich.
Aber dem Letzten erliegt er, er soll es dem König ja bringen,
Und nun schleppt er sich tot an der gewaltigen Last.

Von kariertem Papier und vom Selbstbewusstsein

An einem Kongress zum Mathematikunterricht in den achtziger Jahren hielt ein polnischer Mathematiker ein sehr kompliziertes und gescheites Referat, das er mit der Frage beendete: „Wird die Zukunft der Mathematik eine algorithmische sein oder werden Mengen vorherrschen? Wir wissen es nicht.“ Applaus, Applaus. Da erhob sich Easy Weinzweig von der University of Chicago und sagte: „You don’t know? Ask me! I know!!“ Ein schöneres Beispiel ungebrochenen Selbstbewusstseins kenne ich nicht. Übrigens staunte dieser Mathematikdidaktiker aus Chicago über mein 5 mm kariertes Notizpapier aus der Schweiz. So etwas hatte er noch nie gesehen und war sofort begeistert von den Möglichkeiten dieses Papiers im Geometrieunterricht.
Weshalb ich das erzähle? Weil mir in den Sinn kommt:
Wenn ein Kind auf die Welt kommt, ist es sofort von einer Unmenge Zahlen umgeben, etwa so:
31.07.2009. 23.37. 2415. 46.5
Und die Mutter liegt vielleicht in H6 oder G3 (Nein, das hat nichts mit Schach zu tun.) und ist glücklich, dass beim Neugeborenen alle fünf mal zwei Finger und alle zehn Zehen gesund und munter da sind.
Noch bevor wir Menschen die Augen öffnen, noch bevor wir irgend einen klaren Gedanken gefasst haben, umgeben uns Zahlen, flirtet die Mathematik mit uns. Wie viele Primzahlen stecken in deinem Geburtsdatum? In meinem leider nur zwei! Dennoch lieben die wenigsten Menschen die Mathematik. Viele erwähnen nicht ohne Stolz ihre schlechten Schulnoten im Rechnen, in der Mathematik. Ob das am mangelnden Selbstvertrauen und am karierten Papier liegt? „Es wird ja wohl wieder falsch sein!“ „Wieder habe ich den falschen Algorithmus erwischt.“ „Schreib sauber in die Häuschen!!!“
Easy, der Linkshändler aus Chicago zeichnete lachend präzise Dreiecke aufs Häuschenpapier, freute sich darob und schrieb dann schräg und quer und sorglos chaotisch seine Buchstaben, Zahlen und gescheiten Kommentare aufs Papier, als wäre es einfach weiss.

Kinderkrankheiten, Kolonialwaren und der Zahnarzt

Der Arzt diagnostiziert beim einjährigen Mädchen virales Dreitagesfieber, das Sommerfieber, wie er sagt. Also keine Kinderkrankheit wie Masern oder Röteln . Welche Bilder tauchen in uns Erwachsenen auf, wenn wir versuchen, uns an unsere Kinderkrankheiten zu erinnern?
Schwester und Bruder hatten die Masern und mussten für Tage das Bett hüten. Damit uns nicht langweilig wurde, zog die Schwester in mein Zimmer, was wir beide lustig fanden. Und wir erhielten die ersten Bananen in unserem Leben – es war in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts, als es zwar noch Kolonialläden gab, aber für uns üblicherweise keine dieser sehr teuren Bananen. Später wurden die Mandeln operiert, worauf es im Spital in Zürich jede Menge Glacé gab! Um ein Asthma auszukurieren, schickte man den Jungen zur Kur in die Alpen. Eines Nachts wurde er mit Sirenengeheul und Blaulicht ins Spital Weesen transportiert, worauf er mächtig stolz war. Verdacht auf Kinderlähmung. Die Schwestern dort waren Ordensschwestern in langen, schwarzen Gewändern mit gewaltigen Kopfhauben. Der Junge durfte auf einer von der Nonne von Hand gestossenen Glanzmaschine übers Parkett sausen, was ihn laut jauchzen liess. Im Übrigen waren immer nur die andern krank, brachen sich einen Arm oder hatten dauernd das Nasenbluten. Selbst war man ja unverwundbar und unsterblich, klar doch! Oh, beinahe hätte ich den Zahnarzt vergessen – das war schon die unangenehmste Figur während der ganzen Kindheit.
Das fand offensichtlich auch Friedrich Kracke, der bei Wilhelm Busch seine Zahnschmerzen mit Rauch, Schnaps und vielen andern Mitteln zu bannen versuchte, und erst
Zuletzt fällt ihm der Doktor ein.
Er klopft. – Der Doktor ruft: „Herein!“
Und was nun geschah, das muss man sich schon in Buschs Bildern anschauen! (Wilhelm Busch: Münchener Bilderbogen: Der hohle Zahn) Der Zahnarzt raucht da eine fast bodenlange Pfeife während der Behandlung, was mich doch sehr an seinen späten Kollegen aus dem Zürcher Oberland erinnert, der jeweils seine Brissago am Flämmchen neben dem Behandlungsstuhl wieder anzündete.
Was für Erinnerungen an Zahnärzte oder Krankheiten in früher Kindheit – oder an Kolonialwaren – haben wohl andere Bewohner im Eschberg? Ich freue mich auf Eure Erzählungen.

Altes und Neues in der Natur, in der Erziehung und der Philosophie

Im Herbst, als wir hier einzogen, liess ich drei Niederstammapfelbäume pflanzen, einen Boskop, einen Gravensteiner und einen Coxorange. Alte Sorten. Der Boden sei lehmig, und das Wetter käme hier schon des öftern recht harsch vom Eschberg her, meinte der Gärtner, aber man könne es ja versuchen. Im nächsten Frühling blühten die Bäumchen prachtvoll, und der Coxorange trug drei Früchte. Im Frühling drauf – also jetzt – blüht keiner. Ja, meinte der ältere Herr aus Hadlikon, der die Eier bringt, Apfelbäume tragen eben nicht jedes Jahr – zum Glück, es gäbe ja sonst viel zu viele Äpfel.
Nachbarn liessen zur selben Zeit Spindelapfelbäume pflanzen – Neuzüchtungen. Sie trugen sofort grosse, rote, runde, saftige Äpfel.
Der Boskop, sagte eines samstags der Apfelhändler im Dorf, überlege es sich oft einige Jahre, ob er überhaupt Äpfel machen wolle, der Coxorange sei sowieso ein heikler Bursche, und was er Schlechtes über den Gravensteiner wusste, weiss ich nicht mehr. An der Jahresversammlung des Naturschutzvereins im Nachbardorf schwärmte dafür eine alte Bäuerin von den neuen Spindelbäumen.
Mein Freund, der Semiotiker und Romanist, hat sich die Bilder auf dieser Homepage angeschaut und gefunden, unsere Siedlung habe etwas durchaus Rousseauhaftes. Man lese nur einmal die Cinquième promenade in Les rêveries du promeneur solitaire. Was da der grosse Revolutionär im Vorfeld der französischen Revolution und auf der Flucht vor seinen Pariser Verfolgern auf seinen Spaziergängen auf der Île Saint Pierre im Bielersee sieht und beschreibt, sieht mein Freund, dieser Anhänger eines viel moderneren Revolutionärs (Foucault) in unserer Zeit auf den Fotos, die rund um den Eschberg geknipst worden sind: Rousseau sieht er, den Grossstadtrevolutionär aus Paris mit seiner Botanisierbüchse auf dem Bahndamm der Uerikon-Bauma-Bahn, pardon, auf der Petersinsel, der schliesslich doch von der Berner Obrigkeit aus Selbstschutz weggeschickt worden ist. So werden auch die Zürcher fast zweihundert Jahre später froh gewesen sein, als sie Lenin im plombierten Wagen losgeworden sind.
Wir leben im Darwinjahr. Foucault stammt von Darwin ab, sagt der Basler Professor Sarasin, der in Zürich lehrt. Darwin, das ist der alte Herr in Zylinder in langem, weissem Bart, und Rousseau, noch früher, ist jener Philosoph, der ganz entgegen dem damaligen Zeitgeist behauptete, der Mensch sei von sich aus gut, man müsse die Kinder nur leben und wachsen lassen, der Natur nicht dreinreden! Emile heisst sein grosser Erziehungsroman, der uns Heutigen über all die lange Zeit hinweg vielleicht doch den einen oder andern Gedanken zum Heranwachsen unseres Nachwuchses einpflanzen kann, gerade so wie Pestalozzi oder – er nun ganz ohne zeitliche Distanz – Remo Largo.

Für Leseratten, die nebst dem Neuen auch Altes schätzen würden:
Jean-Jacques Rousseau: Les rêveries du promeneur solitaire. Flammarion. Paris 1997
Jean-Jacques Rousseau: Emile ou de l’Education. Flammarion. Paris
Johann Heinrich Pestalozzi: Lienhard und Gertrud
Philippe Sarasin: Darwin und Foucault. Suhrkamp Verlag 2009
Remo H. Largo: Schülerjahre. Piper Verlag 2009 (aber auch, etwas früher: Babyjahre; Kinderjahre)

Pour finir: Ein kleiner Auszug aus der cinquième promenade:
On ne m’a laissé passer guère que deux mois dans cette île, mais j’y aurais passé deux ans, deux siècles, et toute l’éternité sans m’y ennuyer un moment … Je compte ces deux mois pour le temps le plus heureux de ma vie … Quel était donc ce bonheur et en quoi consistait sa jouissance? Le précieux far niente fut la première et la principale de ces jouissances que je voulus savourer dans toute sa douceur …

Für die Maibowle ist es noch zu früh

Ich komme zurück auf meinen Beitrag im März zur Fibonacci-Reihe und zum Goldenen Schnitt und mache Krimifreunde darauf aufmerksam, dass Dan Brown in seinem Thriller „The Da Vinci Code“ seinen Professor Langdon ausführlich darüber dozieren lässt [In der deutschen Übersetzung „Sakrileg“ ab Seite 132 (Bastei Lübbe, Mai 2006)]. Von nun an werde ich mit dieser Zahlenreihe und mit der Zahl 1,618 nie mehr belästigen!
Vielleicht erinnern sich einige: Am 1. April 2008 trafen sich die Baukommission des Gemeinderates Dürnten, der Verwaltungsrat der Dampfbahn Zürcher Oberland, das Komitee für die Verlagerung des Personenverkehrs vom Velo auf die Schiene und der Vorstand der Vereinigten Oberländer Fasnachtsvereine auf dem Spielplatz im Eschberg zur Vorbereitung der Eröffnungsfeier der Verlängerung der Dampfbahnstrecke von Hinwil über Dürnten bis Bubikon, die am 1. April 2010 stattfinden wird. Mir sind keine Beschlüsse bekannt – da wurde offenbar ein Geheimdossier angelegt! Dieses Jahr jedenfalls blieb es am 1. April still auf dem Bahndamm. Lediglich der Hausherr von Haus Nummer 12 lagerte geheimnisvolle Pfosten und Materialien auf dem Damm: Ob da bereits eine Einweihungsfesthalle gebaut werden soll?
Zu vermerken wäre noch, dass nun auch der letzte Schmutzrest der Schneebar und des Iglus in der Siedlung weggeschmolzen ist! Ob da bald irgendwo eine Maibowle winkt?

Der Frühling kommt, der Schnee schmilzt weg

Das war ein langer, schöner Winter. Die Kinder konnten seit Ende November Schlittschuhlaufen, später fiel soviel Schnee, dass der Eschberg zur Schlittelpiste wurde. Noch ist der Winter nicht wirklich vorbei, immer wieder schneit und regnet es kalt. Und doch schmilzt der Schnee langsam, die Krokusse schauen hervor, und das erinnert mich an die Zeilen:

Der Frühling kommt
Der Schnee schmilzt weg

Harmlose, triviale Zeilen. Sie stehen im Theaterstück Mutter Courage von Bert Brecht – doch die Fortsetzung ist dann weniger harmlos:

Der Frühling kommt
Der Schnee schmilzt weg
Die Toten ruhn
Und was noch nicht gestorben ist
Das macht sich auf die Socken nun

Mutter Courage spielt im Dreissigjährigen Krieg, 1618 – 1648, in dem fast die Hälfte aller Europäer umgekommen ist. Da schmilzt der Schnee heute trotz Finanz- und Wirtschaftskrise sehr viel friedlicher weg – jedenfalls, soviel ich sehe, im Eschberg.
Von Brecht kennen alle wohl auch das folgende Lied:

Und der Haifisch, der hat Zähne
Und die trägt er im Gesicht
Und Macheath, der hat ein Messer
Doch das Messer sieht man nicht.

An ’nem schönen blauen Sonntag
Liegt ein toter Mann am Strand
Und ein Mensch geht um die Ecke
Den man Mackie Messer nennt.

Denn die einen sind im Dunkeln
Und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte
Die im Dunkeln sieht man nicht.

Es stammt aus der Dreigroschenoper, dem wohl erfolgreichsten deutschen Theaterstück. Horst Tappert übrigens, „unser aller Derrick“, spielte in einer Hörspielproduktion 1968 den Mackie Messer. Vielleicht hat jemand in seiner Plattensammlung auch die „uralte“ englische Fassung der Moritat von Mackie Messer mit Louis Armstrong: Mack the Knife.

Von der Schönheit

ballonaufnahme

Vom Ballon aus betrachtet wirkt die Siedlung im Eschberg sehr harmonisch, sehr elegant und schön. Ich bin noch nie in einem Ballon gefahren, würde wohl fast sterben vor Angst. Ich kann das nur sagen aufgrund des Bildes aus dem Ballon, welches ein Freund einer Familie im Eschberg geknipst hat. Vielleicht ist es so, dass aus dem Ballon alle Siedlungen, ja überhaupt alles harmonisch, elegant und schön wirkt. Auf jeden Fall gilt das aber auch für unsere Siedlung. Zeichnet man auf dieser Foto aus der Entstehungszeit der Siedlung Im Eschberg das Dreieck Bahndamm, Berenbach und Dürntnerstrasse mit dem Lineal nach und misst die Seitenlängen und mogelt dabei ein bisschen, dann stellt man Erstaunliches fest. Man muss aber schon ein bisschen mogeln wie bei allen schönen Dingen und Erscheinungen, die man betrachtet: Man muss immer ein bisschen die Augen zukneifen, Abstand nehmen, nicht zu genau hinschauen: und schon offenbaren sich, wenn man möchte, die Welt und die Menschen in ihrer vollen Schönheit.

Die leicht manipulierten Seitenlängen unseres Foto-Eschberg-Dreiecks lauten 17, 13 und 8 cm. 8 und 13 sind Zahlen aus der Fibonacci-Reihe. Erinnern Sie sich an die Kaninchen? (vgl. Vermischtes 2007) 1,1,2,3,5,8,13,21,35,… Das Verhältnis zweier benachbarter Fibonacci-Zahlen nähert sich, je weiter die Reihe fortschreitet, immer präziser der irrationalen Zahl „Wurzel aus 5 plus 1 Halbe“. Beispielsweise: 147 / 91 = 1,61538, was sehr nahe an der Goldenen Zahl 1,61803… liegt. Und das ist die Zahl für den Goldenen Schnitt, dieser Goldenen Zahl der grossen Schönheit. Leonardo da Vinci und sein David lassen grüssen – oder eben das Siedlungsdreieck im Eschberg!

Die Goldene Zahl ist eine irrationale Zahl (unendlich langer Dezimalbruch) wie die Zahl Pi. Irrationale Zahlen haben die Menschen schon immer fasziniert. Daniel Tammet, ein Savant mit Asperger Syndrom, schreibt: „Für mich ist Pi etwas ungeheuer Schönes und absolut Einmaliges. Wie die Mona Lisa oder eine Mozart-Symphonie liegt der Grund, warum man Pi liebt, in der Sache selbst.“ Tammet hat in einer Zeit von 5 Stunden und 9 Minuten 22514 Ziffern von Pi auswendig fehlerfrei rezitiert. Tammet „sieht“ die Zahlen als Farben, als Bilder, als Landschaften: „… während ich die Zahlen aufsagte, spürte ich, wie ich in dem visuellen Fluss von Farben und Formen, Strukturen und Bewegungen aufging, bis ich ganz von meinen numerischen Landschaften umgeben war. Das Rezitieren bekam etwas fast Melodisches, als Zahl um Zahl im Rhythmus meiner Atmung aus mir herausströmte.“ Wer mehr über diese Art, Schönheit wahrzunehmen, lesen möchte, lese:

Daniel Tammet: Elf ist freundlich und Fünf ist laut
Heyne-Verlag. 283 Seiten. Taschenbuch. 14.90 Fr

Auf der ersten Seite des Buches stehen Sätze wie „Ich wurde am 31. Januar 1979 geboren – einem Mittwoch. Ich weiss, es war ein Mittwoch, denn in meiner Vorstellung ist der Tag blau, und Mittwoch ist immer blau – wie die Zahl Neun oder der Klang lauter, streitender Stimmen. Mir gefällt mein Geburtsdatum, weil ich die meisten Zahlen darin als glatte, runde Formen vor mir sehen kann – so wie Kieselsteine an einem Strand. Das liegt daran, dass es Primzahlen sind: 31, 19, 197, 97, 79 und 1979 lassen sich alle nur durch sich selbst und durch eins teilen. Ich kann jede Primzahl bis 9973 an ihrer „kieselsteinartigen“ Beschaffenheit erkennen. So arbeitet mein Gehirn.“
Ist das nicht schön? Noch ein Zitat:
„Zahlen sind meine Freunde und sie sind ständig um mich. Jede ist einzigartig und hat ihre ganz eigene „Persönlichkeit“. Elf ist freundlich und Fünf ist laut, während Vier still und schüchtern ist – sie ist meine Lieblingszahl, vielleicht, weil sie mich an mich selbst erinnert. Einige Zahlen sind gross, wie 23, 667, 1179, andere klein, wie 6, 13, 581. Einige sind schön, wie 333, und einige hässlich, wie 289. Für mich ist jede Zahl etwas Besonderes.“

Welche Farbe verbinden Sie mit Ihrer Hausnummer im Eschberg?