Mit Mathematikern ist kein heiteres Verhältnis zu gewinnen

 

In verschiedenen Schweizer Zeitungen erscheint zurzeit eine Artikelserie über die Unbeliebtheit des Faches Mathematik, so im Zürcher Oberländer, im Thuner Tagblatt oder in der NZZ am Sonntag. Schwierig sei der Mathematikunterricht, mühsam das Lernen, und wer einmal abgehängt habe, finde nie mehr zum Lernerfolg zurück. Die Artikel sind voll von didaktischen Vorschlägen, wie das Lernen attraktiver und erfolgreicher gestaltet werden könnte. Es gelte beispielsweise, vermehrt auf die Eleganz und Schönheit der Mathematik hinzuweisen.

Seifenblasen

Während der Lektüre der Zeitungsartikel stosse ich auf die Website www.mathematik.ch und darauf auf folgende Zitate, die belegen, wie unterschiedlich Menschen zu allen Zeiten auf die Mathematik reagiert haben, von Angst und Widerwillen bis zu Begeisterung und Faszination:

Die Mehrheit bringt der Mathematik Gefühle entgegen, wie sie nach Aristoteles durch die Tragödie geweckt werden sollen, nämlich Mitleid und Furcht. Mitleid mit denen, die sich mit der Mathematik plagen müssen, und Furcht: dass man selbst einmal in diese gefährliche Lage geraten könne.
Epstein, Paul (1883 – 1966)

Das Einmaleins ist mir bis auf diese Stunde nicht geläufig.
Grillparzer, Franz (1791 – 1872)

Es ist unglaublich, wie unwissend die studierende Jugend auf Universitäten kommt, wenn ich nur 10 Minuten rechne oder geometrisiere, so schläft 1/4 derselben sanft ein.
Lichtenberg, Georg Christoph (1742 – 1799)

Das Unbehagen gegenüber der Mathematik scheint also sehr alt zu sein. Doch lese ich auch Tröstliches:

Die Mathematik ist dem Liebestrieb nicht abträglich.
Möbius, Paul (1853-1907), Irrenarzt (Nicht: August Möbius)

Do not worry about your difficulties in mathematics, I assure you that mine are greater.
Einstein, Albert

Aber wir wissen natürlich längst, dass man Herrn Einstein nicht immer ernst nehmen darf. Ob sich Lichtenberg und Russell einig sind, darf füglich bezweifelt werden:

Ich glaube, dass es, im strengsten Verstand, für den Menschen nur eine einzige Wissenschaft gibt, und diese ist reine Mathematik. Hierzu bedürfen wir nichts weiter als unseren Geist.
Lichtenberg, Georg Christoph (1742 – 1799)

So kann also die Mathematik definiert werden als diejenige Wissenschaft, in der wir niemals das kennen, worüber wir sprechen, und niemals wissen, ob das, was wir sagen, wahr ist.
Russell, Bertrand (18.5.1872 – 2.2.1970)

Für jene, die sich für Zahlen, Formen und Muster begeistern können, fünf Hinweise auf interessante Bücher:

Stefan Hildebrandt und Anthony Tromba: Panoptimum. Mathematische Grundmuster des Vollkommenen. Spektrum der Wissenschaft. Heidelberg
Douglas R. Hofstadter. Gödel, Escher, Bach, ein endloses, geflochtenes Band. Klett-Cotta. 1988
George G. Szpiro. Die verflixte Mathematik der Demokratie. Verlag NZZ. 2011
Jean-Paul Delahaye. Pi – die Story. Birkhäuser. 1999
Stefan Klein. Alles Zufall. rowohlt. 2004

Aber achtung: Stephen Hawking warnt: „Jede mathematische Formel in einem Buch halbiert die Verkaufszahlen dieses Buches.“

Der Titel ist übrigens ein Zitat Goethes, sagt www.mathematik.ch.

Wieder einmal ein Gedicht

Am 28. Januar sass ich im Literaturhaus Zürich im Publikum anlässlich der Feier zum neunzigsten Geburtstag von Eugen Gomringer, dem Doyen der Konkreten Poesie. Ich war ungemein beeindruckt von seiner „Ode III“, von der Peter von Matt sagte, dass jedes Zürcher Kind sie kennen sollte, keines sie aber kennen würde – welch letzteres bis anhin auch für mich gegolten hatte.

Ode III

o d e i
n h u n
d e r t
z e i c
h e n a
n z ü r
i z w i
n g l i
f ü s s
l i g o
e t h e
j u n g
y o g a
j o y c
e f o e
h n u t
o t o k
y o h ö
n g g d
a d a o
d e o n
r ä m i
s t r .
b a u r
a u l a

Es sind eben tatsächlich hundert Zeichen! Konkrete Poesie ist sehr selbstbezüglich: Sie kündigt hundert Zeichen an und hält sich in fünfundzwanzig Viererzeilen stur daran, weshalb dem Baur au Lac das letzte c leider fehlt! Wer sich auf das Abenteuer einlassen möchte, der versuche zu lesen!

Und wer mehr wissen möchte, lese die Laudatio von Peter von Matt in der NZZ vom 31. Januar 2015. Viel Spass! (Auf Anfrage durch mich zustellbar)

Nichts beginnt mit der Literatur, aber alles endet mit ihr, der Orient-Express eingeschlossen

Manchmal passiert es mir, dass ich im Gespräch Dinge sage, von denen ich mich später frage, woher ich denn das wisse, wer mir das gesagt oder wo ich das gelesen hätte, dass ich es so frech behaupten könne. So geschehen auch letzthin, als ich jemandem erklärte, wo ich wohne, nämlich in Dürnten, da wo früher der EHC Dürnten auf dem Eisweiher trainiert habe und wo heute noch das alte Gebäude des Bahnhofs Tann als Garderobebaracke stehe. Fragezeichen im Gesicht meines Freundes. „Halt bei dem ehemaligen Damm der Uerikon-Bauma-Bahn.“ Und jetzt: „Da verkehrte einst auch der Orient-Express!“ Welch grossartige Wohnlage!! Später kommt die grosse Verunsicherung: Stimmt das überhaupt? Woher habe ich das? War das je möglich?

Wozu gibt es Google, WikipediA, das weltweite Netz? Auf der Homepage des Dampfbahnvereins Zürcher Oberland (DVZO), der noch die Teilstrecke Hinwil – Bäretswil – Bauma mit alten Loks und Wagons befährt und wo die Geschichte der „Überbeibahn“ erzählt wird, steht kein Wort vom Orient-Express. Auch WikipediA schweigt sich aus. Da gibt es zwar Karten vom Arlberg-Orient-Express, der ab 1931 durch die Schweiz von Basel über Zürich und durch den Arlberg nach Innsbruck führte. Aber zwischen Zürich und Innsbruck finde ich keine präzisen Angaben, sodass weiterhin unklar bleibt, ob der Orient-Express tatsächlich den Bahndamm hinter meinem Haus befuhr.

Orientexpress

In einem Artikel über Rapperswil SG lese ich dann bei „fair-hotels“: „Der legendäre Orient-Express fuhr eine Zeit lang von Warna, Budapest, Wien über Rapperswil und Uster nach Zürich und weiter nach Basel, Paris und Calais.“ Aber Hombrechtikon, Bubikon, Dürnten, Hinwil?

Die folgende Vorstellung allerdings ist doch zu verlockend; Königliche Hoheiten, die durch Dürnten hindurch dampfen und mit Begeisterung ausrufen: „Look at these real Swiss cows!“: „In Nerz gekleidete Geheimagentinnen, Herren mit Monokel und Bärtchen, undefinierbare Häuptlinge irgendwelcher Volksstämme, bildschöne Frauen, von denen niemand weiß, wovon sie leben, königliche Hoheiten auf der Flucht und indische Maharadschas.“ [Der Spiegel 14/1948]

Dann endlich werde ich fündig, und zwar auf der Homepage der Gemeinde Dürnten, wo die Geschichte der Uerikon-Bauma-Bahn zusammen gefasst wird, da lese ich doch endlich: Sogar der Arlberg-Orient-Express verkehrte einst auf dieser Linie.“

Aber woher hat das die Gemeinde Dürnten?
Hercule Poirot übrigens, Agatha Christies Detektiv in „Mord im Orient-Express“ klärte das Verbrechen im Simplon-Orient-Express auf. [Der Titel auf dieser Seite übrigens ist ein Zitat von Paul Morand.]

Je suis …

Cette année a commencé très mal.
Je suis triste.
Les fusils tuent les plumes.
« Que l’on nous donne aussi des fusils ! »
Mais non : Reprenons nos crayons, nos claviers – dessinons, écrivons …

… pour la paix, pour la liberté de penser et la liberté d’expression, pour la démocratie;

Taube_Picasso

… contre la guerre, la haine, la division en société, contre les extrémismes et fondamentalismes de tous côtés!

In meine Traurigkeit hinein ein kleiner helvetischer Hoffnungsschimmer: Als Schweizer des Jahres wählten die Fernsehzuschauer in Anerkennung seiner Vermittlungsdienste den weltoffenen, liberalen Bundesrat Didier Burkhalter. Chapeau, chers citoyens!

Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799): Ist es nicht sonderbar, dass die Menschen so gerne für die Religion fechten, und so ungerne nach ihren Vorschriften leben? [Zitiert nach „Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen“. Robert Gernhardt, Georg Christoph Lichtenberg. Haffmanns Verlag. 1999]