Kooperative neutralität

Mein beitrag vom märz dieses jahres reagierte hilflos auf den russischen einmarsch in die Ukraine. Damals konnte ich mir nicht vorstellen, dass der krieg auch im dezember noch wüten würde. Das jahr 2022 lässt mich noch hilfloser zurück. Ich weiss nicht mehr, wer gesagt hat: «Wir können es uns nicht leisten, pazifistisch zu sein.» Jemand aus den Baltischen Staaten, aus Polen oder Rumänien? Die Schweiz liefert keine munition in die Ukraine. Mir klingt im ohr: «Stell dir vor, es ist krieg und keiner geht hin.» Ich meinte lange, der satz stamme von Bertold Brecht, was aber offenbar nicht stimmt. Die folgenden zeilen jedoch schon:

„Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt
Und läßt andere kämpfen für seine Sache
Der muß sich vorsehen: denn
Wer den Kampf nicht geteilt hat
Der wird teilen die Niederlage.
Nicht einmal den Kampf vermeidet
Wer den Kampf vermeiden will: denn
Es wird kämpfen für die Sache des Feinds
Wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.“

Nötig wäre ganz offensichtlich, dass eine höhere macht die bitte von Matthias Claudius erhören würde: «`s ist Krieg! `s ist Krieg! O Gottes Engel wehre, und rede du darein!»

Noch einmal «Zürich liest»

Diesmal hören wir Axel Hacke im KOSMOS zu. Sie erinnern sich? Matthias Claudius:
Der Wald steht schwarz und schweiget
und aus den Wiesen steiget
der weisse Neger Wumbaba.

Axel Hacke liest zunächst einige seiner kolumnen vor, die er seit gut zwanzig jahren freitag für freitag für das magazin der Süddeutschen Zeitung verfasst. Das erinnert mich von ferne an die «Causeries du Lundi» von Sainte-Beuve, der auch während zwanzig jahren (1849 – 1869) montag für montag eine «kolumne» publizierte, die kritik eines literarischen werkes, und die jeweils etwa dreissig heutige druckseiten umfassten. Axel Hackes themen sind sehr vielfältig, so las er zum beispiel seine überlegungen zum wort «genesen», das während der pandemie eine ungeahnte karriere hinlegte, untersuchte es von allen seiten, deklinierte es und sprach unübliche formen genüsslich aus: «… und wenn er denn doch genääääse?». Oder er wunderte sich über dinge wie «flüssiggas», erfand zudem das festgas, das flüssigfeuer, etc. Verirrte und verwirrte sich, nahm eine scheibe rotwein zu sich und legte sich samt knirschspange ins bett. Wumbaba erheiternd!

Das zahlreich erschienene publikum übrigens war für literarische lesungen recht unüblich zusammengesetzt: Wir sahen mehr junge als alte menschen und viel mehr männer als frauen. Nur so nebenbei: Der abend des 29. oktobers 2022 war ausserordentlich warm. Durch die Europaallee schlenderte und patrouillierte eine menge jungvolk, manche schon kostümiert: bald ist halloween.

Doppeltes doppelleben

Die Orell Füssli filiale am Stadelhofen öffnet ihre türen fünf minuten bevor die lesung von Alain Claude Sulzer im rahmen von «Zürich liest» zu seinem neuen buch «Doppelleben» beginnt. Im ersten stock stehen campingstühle in theateranordnung. Gut fünfzig personen, vorwieged frauen, fast alle im fortgeschrittenen alter, nehmen platz. Philipp Theisohn, der, wie die filialleiterin in ihrer begrüssung sagt, wohl in allen schweizerischen zeitungenn, vor allem aber in der NZZ, zu lesen sei, eröffnet den abend mit der frage an den schriftsteller, wie er denn zu diesem nicht gerade naheliegenden stoff gekommen sei. «Durch die NZZ», strahlt Sulzer. «Das ist jetzt aber nicht abgesprochen», lacht Theisohn. Im laufe des abends wird die geschichte klar:

Die brüder Goncourt, Jules und Edmond, leben im ausgehenden neunzehnten jahrhundert ein leben zu zweit, sind unzertrennlich wie eineiige zwillinge, führen sozusagen ein doppelleben. Heute kennen wir sie als frühe vertreter des naturalismus; sie sind genaue beobachter ihrer umwelt, der gesellschaft, der zeit, in der sie leben, und sie schreiben, führen tagebuch, verfassen romane. Jules, geboren 1830, stirbt 1870. Edmond (*1822) beobachtet und beschreibt präzise sein sterben, seinen tod. Die haushälterin der beiden brüder lebt ein doppelleben. Einerseits ist sie die untadelige (bis auf ihre mangelnden kochkünste) haushälterin, andererseits eine sehr unglücklich verliebte, bald alkoholsüchtige bettlerin und diebin. Und die beiden Goncourt ahnen und sehen nichts! Nach ihrem tod schreiben sie über ihre haushälterin einen roman: Germinie Lacerteux (1865). Edmond Goncourt lebt und arbeitet noch bis 1896. Er gründet eine stiftung, aus der schliesslich der Prix Goncourt hervorgeht, der noch heute wichtigste literarische preis in Frankreich.

Philipp Theisohn vom feuilleton der NZZ führt durch geschickte fragen das gespräch mit Alain Claude Sulzer, der drei interessante stellen aus seinem werk vorliest. Das buch ist übrigens zuerst in der französischen übersetzung in Frankreich mit grossem erfolg erschienen. Sulzer dazu, dessen muttersprache Französisch ist: „Ich könnte nie auf Französisch schreiben! Also, ich könnte natürlich schon, aber nein, … ich könnte nicht.“

Am ende offeriert Orell Füssli einen apéritif: prosecco (weshalb nicht champagner??) mit madeleines. Dieses gebäck erinnert lebhaft an einen anderen Franzosen, an Marcel Proust, der auch den Prix Goncourt gewonnen hat. Somit genossen wir einen runden, grossartigen literarischen abend dank «Zürich liest».

Alain Claude Sulzer. Doppelleben. Verlag Galiani Berlin. 2022

Die lustige Witwe. Operettenbühne Hombrechtikon

2016 haben wir in Hombrechtikon auf einladung von Christina und Hans Peter Derksen die operette «Der Wildschütz» gesehen und waren restlos begeistert. Schon damals sang Felix Rohner, den Karin von der schulpflege Rüti her kennt, als bass im chor mit; so auch heute, am 8. oktober 2022 in der dernière der lustigen witwe. Das sehr kleine, aber ausgezeichnete orchester präsentierte eine kurzfassung der selten gespielten ouvertüre, die Lehàr erst 1940 komponiert hatte, während die operette selbst bereits 1905 uraufgeführt wurde. So erstaunt es mich nachträglich nicht, dass mir die musik zunächst fremd war. Doch all die berühmten ohrwürmer liessen nicht lange auf sich warten: das «Maxim»-lied, das Viljalied oder «Lippen schweigen». Berufs- und amateurmusiker und -sänger leisteten hervorragendes. Die solisten hatten schöne stimmen, die chöre sangen aufs prächtigste, und auch schauspielerisch konnten alle mitwirkenden überzeugen. Die kostüme von Rudolf Jost faszinierten mich besonders, erinnerten sie mich doch lebhaft an fotografien aus der «vie mondaine» aus dem band «Univers de Proust» der revue artistique et littéraire (Mulhouse 1959).

Die foto zeigt in der ersten reihe die prinzessin von Caraman-Chimay und Abel Hermant, in der mittleren reihe Mme de Montegnard, die prinzessin de Polignac und die gräfin Mathieu de Noailles, im hintergrund prinz Edmond de Polignac, die prinzessin de Brancovan, Marcel Proust, Brancovan, eine unbekannte und Léon Delafosse.

Claudia Thalmann, Dieter Werner, Monika Buchmann, Daniel Wirz

Dies wiederum ist eine foto aus dem programmheft der lustigen witwe. Sie lesen richtig: Die Operettenbühne leistet sich, was die Tonhalle Zürich oder das Schauspielhaus ihren besuchern verweigern: ein hervorragendes, sehr informatives programmheft „in print“; chapeau, verehrte theaterleute aus Hombrechtikon!

Oh, fast hätte ich es vergessen: Sehr gut gefallen haben uns die beiden bühnenbilder von Dave Leuthold, einem meister seines faches; laut programmheft arbeitete er unter anderem am Bolschoi in Moskau und am Schauspielhaus Zürich.

Ein abend im Kaufleuten

Zum ersten mal in unserem leben sind wir im Kaufleuten. Thomas Hürlimann präsentiert seinen neuen roman «Der Rote Diamant». Er wird von frau Fedora Wesseler begleitet, die den roman ins französische übersetzt hat. Die beiden lesen aus dem neuen werk und plaudern dazwischen, vor allem natürlich über das internat im kloster Einsiedeln, wo Hürlimann seine matura gemacht hat, und über den katholizismus. Alle religionen haben einen je ganz spezifischen duft, sagt Hürlimann, der katholizismus (im roman „böckelt“ er), der islam (300 paar schuhe im eingang zu einer berliner moschee bei grösster hitze), der buddhismus (und seine räucherstäbchen). Nur der protestantismus riecht nicht? Eben! Der ist vielleicht auch gar keine religion, der ist aufklärung, der kommt vom wort! Hürlimanns schilderungen der innerschweizer gesellschaft seiner jugend, getrennt in katholizismus und protestantismus, belustigen das publikum – eine welt von gestern. Na ja, beruhigt Hürlimann, heute duschen auch wir katholiken. Er bedauert das verschwinden der religionen – alle kirchen bleiben leer; in Einsiedeln gibt es nur noch ein verschwindend kleines grüppchen patres, alle über 65! – da gehe kultur verloren.
Es war ein interessanter abend mit ein ganz klein wenig musik von Wagner und Dylon. Zwei prosecco Fr. 19.- Das parkhaus Fr. 22.- Die eintrittskosten: gratis, gewonnen in einer verlosung. Der saal aber war rammelvoll. Literatur zählt!

Thomas Hürlimann. Der Rote Diamant. S.Fischer. Frankfurt am Main. 2022

Politische führung im 20. jahrhundert

Wir ehemaligen schulkameradinnen und schulkameraden sassen wieder einmal an unserem stammtisch. Uns allen sah man das alter natürlich an, alle waren wir 1942 oder 43 geboren. Bei feinem essen – unter uns weilt ein grossartiger hobbykoch – und ausgezeichneten weinen diskutieren wir jeweils das aktuelle tagesgeschehen, verlieren uns aber auch recht häufig in der eigenen vergangenheit. So tauchte denn diesmal die frage auf, wann, in welchem alter, bei welcher gelegenheit jeder von uns politisiert worden sei. In der mitte der fünfziger jahre des letzten jahrhunderts waren wir alle wach.

Älter als wir und nicht in der vom 2. weltkrieg verschonten Schweiz aufgewachsen, ist Henry Kissinger, der mit neunundneunzig jahren ein weiteres buch veröffentlicht hat: «Leadership. Six Studies in World Strategy.» Penguin Press. New York. 2022.

Für uns rund achtzig jährige beschreibt Kissinger die welt und ihre politischen führer unserer zeit. Auf den knapp sechshundert seiten läuft da ein film ab, den wir zu kennen glaubten, und dessen szenen und figuren uns Kissinger oft in neuem licht und grösseren bedeutungs­zusammenhängen zeigt. Das ist eine sehr spannende lektüre. Ob wesentlich jüngere leser von der lektüre wohl gleichermassen fasziniert sind? Wissen sie noch, wer Kissinger ist, wie gefeiert und wie umstritten er war und ist? Nicht alle der im buch beschriebenen führer haben sie erlebt. Für uns alte aber haben all diese namen einen je ganz besonderen klang. Kissinger hat sie ausgewählt, weil sie seiner meinung nach ganz entscheidende bedeutung für den gang der politik hatten und weil sie über eigenschaften verfügten und strategien verwirklichten, deren studium sich auch heute noch lohne. Die sechs führungspersönlichkeiten sind:

Konrad Adenauer und die strategie der demut
Charles de Gaulle und die strategie des willens
Richard Nixon und die strategie des gleichgewichts
Anwar el-Sadat und die strategie der überwindung
Lee Kuan Yew und die strategie der spitzenleistung
Margareth Thatcher und die strategie der überzeugung

Henry Kissinger hat all diese personen gekannt, hat mit ihnen zusammen gearbeitet als berater amerikanischer präsidenten oder als aussenminister der USA.

Für jemanden, der bereits den Ungarnaufstand oder die Suezkrise erlebt hat, ist «Staatskunst» von Henry Kissinger eine faszinierende lektüre.

Im schlusswort analysiert Kissinger die heutigen veränderungen der meritokratie, welche im 20. jahrhundert die aristokratie des 19. jh. abgelöst hatte. Veränderungen, die dazu führten, dass kaum mehr führungsfiguren wie die im buch geschilderten an die spitze von staaten gelangten. Das klingt sehr pessimistisch: „Dieser wandel wird von neuen technologien vorangetrieben, die als mittler unserer welterfahrung und unseres informationserwerbs fungieren, so dass sich der veränderungsprozess weitgehend ohne verständnis für seine langfristigen folgen entfaltet, einschliesslich seiner implikationen für die führung eines staates. Unter diesen bedingungen wird das sorgfältige lesen eines sachbuches und die kritische auseinandersetzung mit dem komplexen inhalt zu einem ähnlich unkonventionellen akt, wie es das auswendiglernen eines epischen gedichts in zeiten des gedruckten wortes gewesen war.“

Henry Kissinger. «Staatskunst. Sechs Lektionen für das 21. Jahrhundert.»
C. Bertelsmann Verlag. München. 2022

5.6 Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt

Eine befreundete ehemalige oberländer bauersfrau – wenn ich an sie denke, fallen mir immer wörter ein wie «gschaffig», tüchtig, bodenständig – schwörte auf «Memphistoschuhe» und schwärmte von einem ausflug nach «Tschiasso». Oft erzählte sie von ihrem schrecken, als sie ein «emmery» erdulden musste. Emmery? Ach so, eine magnet-resonanz-tomographie. Etwas wirklich so unangenehmes wie der ausdruck selbst: MRT. So kleiden wir halt das ding in das viel weichere bildgebungsverfahren, das MRI, das immaging, eben das emmery. Darüber nachgrübelnd, während ich in der beiz auf meine stammtischkollegen warte, alles ehemalige informatiker oder mathematiker, kommt mir das abkürzungspaar RAM und ROM in den sinn. Klar: arbeitsspeicher und festspeicher. Ebenso klar: ROM gleich Read Only Memory. Aber RAM? Read And Wright …? Geht irgendwie nicht. Also, nach Google-intermezzo: Random Access Memory. (Als würden meine tastenschläge bloss vom zufall bestimmt sein!) Zurück zum MRI im Zürcher dialekt «emmery»: Meinen stammtischfreunden versprach ich beim nächsten treffen eine Grappa als revanche für ein kleinstfinanzverfahren unter uns dreien, von dem ich stark profitieren konnte. Es bedankte sich der Glarner mit «ich freu mi uf en grappa», während der Berner strahlte: «Oh, es gratis-grappa». Wo doch meine befreundete weinhändlerin jeweils darauf bestand, es heisse «die grappa», denn die sei gefährlich. Was wiederum mich an meinen französischlehrer in den fünfzigerjahren des letzten jahrhunderts erinnert: «Tout ce qui est dangereux est du féminin.» Er musste es ja wissen, war er doch sekretär bei C. G. Jung.
Ich weiss, der titel dieser schnurre ist anmassend, aber er entspricht irgendwie meinem gefühl: «Ich trink en grappa» und bin in einer ganz anderen welt als derjenige, der ruft: «Ich kriege eine grappa!» Ludwig Wittgenstein möge mir verzeihen. Doch auch Goethe dürfte leiden. Was hat sich nur der gründer von «Mephisto Worlds finest footware» gedacht, als er Goethes «Ein Teil von jener Kraft, / Die stets das Böse will und stets das Gute schafft» in simple «Memphistoschuhe» verzaubert hat?
So, fertig geplaudert, RAM kann vorübergehend schlafen gehen.

Die sechzehnte Miteigentümerversammlung im Eschberg

Sie fand am 9. Juni 2022 nicht in der Alten Metzg, sondern im Kirchgemeindehaus statt, weil die Vertreter der Firma Hustech für ihre Präsentation des möglichen Ausbaus der Tiefgarage für die E-Mobilität einen Beamer benötigten. Geplant ist eine Grundinstallation für 25’000 Franken. Wer dann seine Parkplätze für ein E-Auto einrichten möchte, lässt eine Ladeinstallation einrichten für rund Fr 2’400 pro Parkplatz. Nach längerer Diskussion beschliesst die Versammlung diesen Ausbau trotz Unsicherheiten bezüglich zureichender Verfügbarkeit von Strom in der Schweiz. Auch die Zukunft der Wasserstofftechnik ist noch sehr unklar. Von den vorliegenden drei Offerten stimmte die Versammlung jener von Hustech zu.

Protokoll der letzten Versammlung, Jahresrechnung und Budget (erhöht aufgrund der E-Mobilität und der Kosten für die Ausbesserung der Ablaufrinnen in der Zufahrt zu den Besucherparkplätzen) wurden diskussionslos genehmigt, und die Mitglieder des Ausschusses sowie die Revisoren wurden bestätigt, sogar mit Applaus für ihre Arbeit. Applaus erhielt zu Recht auch der Hauswart, der dazu aufrief, die Kinder zu ermahnen, dem Siedlungseigentum mehr Sorge zu tragen. Der Erneuerungsfond wechselt von der Post zur Raiffeisenbank.

Nicole Hossmann hatte eine mögliche gemeinsame Fassadenreinigung sowie einen gemeinsamen Heizungsersatz auf die Traktandenliste setzen lassen. Sie fehlte allerdings an der Versammlung. Dennoch wurde die Heizungsfrage diskutiert. Einige Eigentümer haben ihre Heizung bereits ersetzt, andere haben entsprechende Aufträge erteilt. Marcel Furrer machte darauf aufmerksam, dass die Verwaltung wohl aufgerufen sei, bei gemeinsamem Eigentum tätig zu werden, nicht aber im oder am Eigenheim. So wurde denn auch auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Heizung und der Solarenergie verzichtet. Wer demnächst plant, eine Solaranlage einzurichten, melde sich doch bei Reto Obertüfer, der sich aktuell damit beschäftigt.

Die nächste Versammlung wird auf den 8. Juni 2023 gelegt.

Teo Gheorghiu in der Tonhalle

Teo Gheorghiu besuchte die primarschule Rüti. Schon damals sagte er: «Ich wird pianischt. S mami hät gsait, als pianischt muesch du nöd lisme lehre.» Ob er heute stricken kann, weiss ich nicht, aber klavier spielen kann er, und wie. Am 9. mai spielte er in der tonhalle von Isaac Albéniz virtuos die Suite española. Die achtteilige suite wurde 1901 veröffentlicht. Sie lebt von spanischer folklore, vom klang der kastagnetten, sodass einem beim zuhören bilder von flamenco tanzenden figuren faszinieren. Nach der pause – im foyer wird wieder serviert, die pandemie ist vorbei (wirklich?) – stand Modest Mussorgskys «Bilder einer Ausstellung» auf dem programm. Das ist ein gewaltiges, eruptives Musikstück, das dem temperament des in Rumänien geborenen Gheorghiu alle möglichkeiten bietet, seine immensen fähigkeiten emotional und technisch auszuleben. Mussorgsky erinnert in diesem zyklus an seinen 1873 verstorbenen malerfreund Viktor Hartmann, dem zu ehren 1874 vierhundert seiner bilder ausgestellt wurden, bilder wie «Der Gnom», «Das alte Schloss», «Der Marktplatz von Limoges» oder «Das grosse Tor von Kiew». Die meisten dieser bilder sind heute verschollen. Doch Mussorgskys zyklus lebt mächtig weiter und passt leider grossartig in unsere schreckliche zeit. Zum schluss bedankte sich Teo Gheorghiu beim publikum in zürichdeutscher mundart. Er zeigte mit weiter armbewegung auf den saal und rief: «S isch schön worde, gäll!» Und spielte drei zugaben, wovon zwei stücke von Bela Bartok. War das ein eindrückliches konzert!

Heiteres zum trotz

Beim erwachen ging mir eine wendung durch den kopf und liess nicht mehr los: «ein alter aus Malters». Aha, war das nicht ein limerick von Keiser? Wie hiess der noch? Cäsar Keiser? Nein! César Keiser. Und was tut da der alte in Malters? Nach einer knappen stunde hatte ich es beinahe zusammen, aber eben nur beinahe. Deshalb der griff ins büchergestell, und da steht das bändchen tatsächlich noch:

César Keisericks. Benteli Verlag Bern. 1968*. Mit witzigen zeichnungen von Scapa.
* Ein wahrhaft revolutionäres rotes büchlein!

Also denn:

Da gab’s einen Alten aus Malters
Der sammelt für die Hilfe des Alters
Er sammle zehn wochen
Fast ununterbrochen
So sagte er, und dann behalt er’s –

Das buch wiegt nicht schwer, alle keisericks kommen leicht daher, sind hell und heiter, die lektüre ist äusserst vergnüglich und lässt mich kaum mehr los.

Da gab’s eine Dame in Aigle
Die färbte sich Lippen und Nägel
Trank einen Gin pur
Und schrieb an die Tür:
«Sprechstunde ab 18 Uhr tägl.»

Zum schluss noch einen dritten für meinen freund, der auf der Forch wohnt:

Da rief Fräulein Frei von der Forch
Ihrem Alfons zu: Alfons, du, horch!
Etwas biss mich ins Bein
Was kann das wohl sein –
Warst du’s, oder war es der Storch?

Ob das bändchen noch immer im handel ist? Scapas illustrationen sind einfach umwerfend! Ebay und ricardo werden wohl helfen können.