Meine Freunde, die Hobbyköche

Wenn ich mich unter den Freunden und Bekannten meines Alters umhöre, stelle ich fest, dass viele einem kleineren oder grösseren Kreis von Hobbyköchen angehören. Man trifft sich bei einem Freund zu Hause, kocht und isst gemeinsam, lädt allenfalls auch die Ehefrauen oder Lebenspartnerinnen dazu ein – oder auch nicht. Es gibt solche «Klubs», die kulinarisch immer nach Höherem streben, immer ausgefallenere und kompliziertere Rezepte mit immer selteneren und teureren Zutaten zu kochen und essen versuchen, la grande cuisine eben, bis es einem meiner Freunde in einer solchen Clique zu bunt wurde, und er ausstieg. Oder andere, die eher auf Einfachheit, auf Tradition, Bodenständigkeit und Regionalität achten im Gedenken an Grossmutters Küche. Meine Grossmutter allerdings, eine liebe, grossartige Grossmutter, hat eher schlecht gekocht – aber ihre Hühner rupfen, das konnte sie. Und dann die Hühnersuppe!

Wir sind drei ehemalige Berufskollegen, die einige Male im Jahr gemeinsam kochen und dabei über Politik, über Gott und die Welt, über Theaterbesuche oder Neuigkeiten aus unserer Berufsbranche palavern. Einer der Freunde lebt in Zürich, aber auch an mehreren Tagen der Woche in Mailand und bringt so die italienische Küche in unseren Kreis. Der Zweite im Bunde besitzt einen schönen Grill im schönen Garten, worauf dann Fische und grosse Fleischstücke gedeihen. Ich im Zürcher Oberland servierte das letzte Mal völlig phantasielos ein Zürcher Geschnetzeltes mit Rösti. Die Rösti brieten wir in gusseisernen Portionenpfännchen, sodass dann jeder ein Brettchen mit dem Pfännchen vor sich hatte. «Das wiederum,» meinte mein Kollege, «entspricht nun ganz und gar nicht der Tradition, die doch die Rösti in der Mitte des Tisches will, und jeder greift mit seinem Löffel aus der grossen Pfanne zu.» So hatte ich es als Knabe bei einem Freund erlebt, dessen Vater SBB-Arbeiter war. Da gab’s die Kartoffeln zum Frühstück. Mein Zürcher Geschnetzeltes enthält natürlich auch Nieren, wie es das Originalrezept verlangt. Ich folge damit Hugo Loetscher, der einmal geschrieben hat, dass genau die Mischung aus feinem, teurem Zürichberg-Kalbfleisch und deftiger, billiger Niere von jenseits der Sihl die soziologisch-politische Qualität dieses Gerichts ausmache,weshalb er es so liebe. Wo liest sich diese Aussage? Ich suche und lese, ein Buch nach dem anderen von Hugo Loetscher, Werke, die ich schon einmal gelesen habe – finde aber auch nach Tagen nichts. Mit Hilfe von Google nehme ich einen Nachruf auf Loetscher von Stefan Zweifel zur Kenntnis, der ziemlich wörtlich schreibt, was ich oben notiert habe, der aber auch keine konkrete Stelle angibt.

Aber anderes finde ich wieder:

In dem feinen Buch «Kulinaritäten», einem Briefwechsel zwischen Alice Vollenweider und Hugo Loetscher, finde ich: «… und da hat sie [die Marktfrau] mir erklärt, dass der flache, längliche Fenchel, den ich in der Hand hielt, ein Weibchen sei, das kein Kenner kaufen würde, und mir dann eine kurze, dicke und kräftig gewölbte Fenchelknolle in den Korb gelegt. Das sei ein Männchen und schmecke viel besser. Du siehst,» schliesst Loetscher, «wie weit die Diskriminierung der Frauen geht.» Im Supermarkt vor ein paar Tagen habe ich nur Männchen gefunden!

Und Alice erklärt mir die Spaghetti all’ aglio wie folgt: «Die Knoblauchspaghetti findet man auch auf der Speisekarte italienischer Restaurants in Zürich. Nur fehlt dabei meist das Wichtigste: die Kartoffelwürfel, die man fünf Minuten vor den Spaghetti ins Wasser wirft. Der Rest ist sehr einfach. Man schneidet den Knoblauch in Scheiben, die in reichlich Butter goldgelb oder goldbraun geröstet werden. Dann lässt man die al dente gekochten Spaghetti zusammen mit den sehr weichen Kartoffeln abtropfen, vermischt sie mit der heissen Knoblauchbutter und geriebenem Parmesan und bestreut sie mit schwarzem Pfeffer. Die Kartoffelwürfel absorbieren das Aroma von Butter, Knoblauch, Parmesan und Pfeffer viel intensiver als die Spaghetti. Das ist das Geheimnis dieses schlichten und vollkommenen Gerichts, das man höchstens mit einem Glas Wein ergänzen kann.»

Die Hobbykocherei treibt manche Blüten. Einer meiner Freunde ist mit den Jahren überzeugter Vegetarier geworden. Als gebürtiger Churer hat er uns dennoch, wohl aus purer Nostalgie und Liebe zur einheimischen Kochkunst, einmal eine «Churer Beinwurst» serviert. Es gäbe in Chur nur noch einen Metzger, der Beinwürste herstelle. Wer weiss, vielleicht wird die Wurst angesichts des modernen Trends «from nose to tail» ja wieder hip. Ich hätte nichts dagegen.

So: Nun aber ab in die Küche zu Stockfisch. Baccalà. «In den handgeschriebenen Zürcher Rezeptsammlungen vergangener Jahrhunderte findet man viele feine Stockfischrezepte … Wie ist uns diese Delikatesse abhanden gekommen?» [Alice Vollenweider]

Alice Vollenweider und Hugo Loetscher: Kulinaritäten. Ein Briefwechsel über die Kunst und die Kultur der Küche. Diogenes Taschenbuch 21927. Zürich. 1991

 

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