Satire in Arosa

Wie jedes Mal seit 2009, ausser letztes Jahr, verbrachten wir einige Tage am Humorfestival in Arosa.

Aussicht vom Balkon der Sonnenhalde Richtung Hörnli.

Es gab Schnee und Sonne, feines Essen und scharfe Satire. Letztere kam zum einen von Simone Solga, die in der Schweiz um Asyl nachsuchen wollte, weil man in Deutschland nicht mehr sagen dürfe, was man denke – und sagte es dann im Tschuggen Zelt ausführlich und deutlich und in geschliffenem Hochdeutsch. Das hatten wir doch schon einmal gehört, dass man sich nicht mehr getraue, seine Meinung zu sagen, wo denn? Ach ja, auf der Donau. Von einem deutschen Ehepaar aus Frankfurt. Und an meinem Stammtisch sitzt jeweils einer, der sich noch getraut, der aber deutlich sagt, das sei nicht nur an amerikanischen Universitäten zum Problem geworden, sondern auch bei uns in der Schweiz: Wer nicht mit dem Mainstream übereinstimme, wer gegen ihn argumentiere, der erlebe Schlimmes. Mainstream? «Der linke, sozialistische Liberalismus», meinte er. Die politischen Begriffe sind halt nicht mehr so klar wie auch schon!

Anderntags wetterte eine Bernerin aus Thun gegen den Mainstream und machte sich satirisch überhöht lustig über Vegetarier und Veganismus. Selbst auf den Grill dürfe kein Fleisch mehr zu liegen kommen. Zucchetti auf dem Grill?? «Das ist thermische Unkrautvernichtung!», rief Lisa Catena aus, wenn auch auf Berndeutsch. Ihre dennoch spitze Rede versüsste sie mit zwei Liedern, begleitet auf der Guitarre von Frölein Dacapo, weil sie die ihre vergessen habe. In einem Song schimpfte sie zunächst auf die dummen Geranien im Bernbiet all überall («s’bluemete Trögli» kommt mir in den Sinn), schwärmte dann von der multikulti WG in der grossen Stadt – wohl Zürich – bis sie mit ihrem heranwachsenden Sohn dann doch für etwas Ordnung und Disziplin einstand und die Geranien plötzlich nicht mehr so abseitig fand. Ich fand das recht hübsch.

Zur Satire übrigens hat ein ganz Alter etwas zu sagen, nämlich Jean Paul, der Zeitgenosse Goethes (Paul: 1763 – 1825; Goethe: 1749 – 1842):

«Die Satire bessert selten. Damit sei sie nicht bloss lächelnd, sondern bitter, um die Toren, die sie nicht bessern kann, wenigstens zu bestrafen.»

Ich entnehme das Zitat den kürzlich erschienenen Jean Paulschen Aphorismen. Darin nimmt er in einem Satz eine Schlüsselszene von Marcel Prousts «A la recherche du temps perdu» voraus: «Ein einziger Geruch weckt ganze Gruppen von alten Empfindungen wieder auf; wirkt mehr auf die Phantasie als selbst das Auge.»

Jean Paul Richter. Bemerkungen über uns närrische Menschen. Aphorismen. Verlag tredition GmbH. Hamburg

Hans Magnus Enzensberger ist 90

Er veröffentlicht dieses Jahr unter dem Titel Fallobst ein Buch von 167 Seiten. Auch der neunzigjährige Jürgen Habermas gibt 2019 ein Buch heraus, eine Philosophiegeschichte auf 1700 Seiten. An dieses monumentale Werk wage ich mich nicht heran. Aber sehr genüsslich wühle ich in Enzensbergers Fallobst. Er sammelt es in drei Körben, die jeweils Zitate von Dichtern und Philosophen oder eigene kurze oder etwas längere Texte enthalten. Sie alle illustrieren aufs Schönste die geistige Wachheit des alten Mannes, der ein Leben lang viel öfter gegen den Strom dachte und schrieb als bequem mit der Mehrheit mit zu schwimmen.

Vom Autor von Brave New World zitiert er: «Die medizinische Wissenschaft hat in den letzten Jahren so ungeheure Fortschritte gemacht, dass es praktisch keinen gesunden Menschen mehr gibt.» Aldous Huxley lebte von 1894 bis 1963. Sein Aperçu klingt heute noch weitaus plausibler.

Eine der drei kleinen Kindermythen (Seiten 60 bis 63) endet mit dem Satz: «Gegen den Eigensinn der Kinder kommt keine Pädagogik an.» Als pensionierter Lehrer kann ich dem nur beipflichten.

Enzensberger zitiert auch aus früheren Jahrhunderten. Besonders oft Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799): «Die Mönche zu Lodève in Gascogne erklärten eine Maus für heilig, die eine geweihte Hostie gefressen hatte.» Für den kirchenfeindlichen und der Religion ohnehin misstrauenden Lichtenberg «ein gefundenes Fressen», würde ich sagen. Mein Lichtenbergscher Lieblingssatz ist: «Unsere Erde ist vielleicht ein Weibchen.»

Wer Chamfort (1741 – 1794, also Zeitgenosse von Lichtenberg) war, musste ich erst googeln [worüber Enzensberger wohl mild gelächelt hätte]; es scheint «man» müsste ihn einfach kennen! Enzensberger schreibt: «Kaum eine Frucht, die von Chamforts Bäumen fällt, erweist sich mehr als zweihundert Jahre später als wurmstichig. Es hilft nichts, man muss sie aufsammeln.» Zum Beispiel: «Wenn man bedenkt, dass dreissig bis vierzig Jahrhunderte Arbeit und Aufklärung zu nichts weiter geführt haben, als dass die dreihundert Millionen Menschen auf der Erde dreissig zum grössten Teil unwissenden und einfältigen Despoten ausgeliefert sind, von denen jeder einzelne von drei oder vier mitunter stupiden Schurken beherrscht wird – was soll man von der Menschheit denken, was in Zukunft von ihr erwarten?» Chamfort entzog sich einer zweiten Verhaftung durch Selbstmord. Wen wundert’s angesichts solcher Schreibe? 

Ein letztes Zitat aus dieser phantastischen Sammlung lustiger und zum Nachdenken anregender Berichte: Enzensberger schreibt:

 

Sie möchten das lesen können? Ein Klick auf den Text, und es sollte Ihnen gelingen.

Hans Magnus Enszensberger. Fallobst. Nur ein Notizbuch. Suhrkamp. Berlin 2019

Einmal mehr: virtuell oder analog?

Es ist wieder einmal soweit, wir drei Freunde bekochen uns gegenseitig und verbringen einen gemütlichen Abend, reden über die nicht anwesenden Freunde, erinnern uns an gemeinsame Erfolge und Misserfolge, geniessen die Crostini al Pomodoro, die Blanquette de veau samt Peperonata und die Wähe mit Äpfeln vom eigenen Baum. Ferienpläne sind natürlich auch ein Thema, aber auch unsere Ansichten über die Bücher, die wir gelesen haben und die Absichten über zukünftige Lektüre. Da sagt mein Freund, er fahre nächstens wieder «auf die Insel» – wo seine Familie offenbar ein Haus besitzt – und da nehme er den Gottfried Keller mit. «Habe seine sämtlichen Werke gestern heruntergeladen.» Was das wohl gekostet habe? 1 Franken!

Ich selbst beteilige mich noch an «Gesprächen über Literatur» mit ehemaligen Berufskollegen. Etwa sechsmal pro Jahr diskutieren wir Werke, die wir gemeinsam ausgewählt haben, unter Anleitung eines Literaturwissenschaftlers. Meistens lesen wir erst kürzlich erschienene Werke wie beispielsweise Mobbing Dick oder Raunächte oder Die Ladenhüterin. Nächstens aber soll es Martin Salander von Gottfried Keller sein. «So ein altes Ding?» In welcher Ausgabe? Reclam wäre am billigsten. «Der Druck ist so klein, so mühsam!» Modern ist die Ausgabe aus der Kollektion Nagel & Kimche aus dem Jahr 2003, herausgegeben von Peter von Matt und versehen mit einem Nachwort von Peter Bichsel. Wir entscheiden uns dafür, und ich erstehe das Buch für Fr. 36.90.

Soll ich das kommentieren oder wollen Sie sich melden? [Man könnte ja auch das Gewicht zwischen E-Reader und Print vergleichen oder der Frage der ökologischen Nachhaltigkeit nachgehen.]

Ach was! Das Kalbfleisch war auch nicht billig. [Für drei Personen 600 g von der Schulter. Fleisch essen? Heutzutage??] Und kochen und essen und geniessen ist vorläufig noch immer nur analog zu haben.

Gottfried Keller. Martin Salander
Tom Zürcher. Mobbing Dick. Salis Verlag. Zürich. 2019
Urs Faes. Raunächte. Insel Bücherei. 2018
Sayaka Murata. Die Ladenhüterin. Aufbau Verlag. 2018

 

Die Banken und das Geld

Auf einer Stadtrundfahrt für Touristen in Ostkroatien wundert sich ein Teilnehmer angesichts der vielen modernen, neuen Autos in den Strassen, woher denn das viele Geld komme. Sagt die Fremdenführerin: «Auch bei uns haben die Banken viel Geld.» Geld, das offensichtlich den meisten Menschen im Land fehlt. Darüber diskutieren wir beim mehrgängigen Nachtessen auf dem Kreuzfahrtschiff und geraten in arges Schimpfen über die bösen Banken und die noch böseren Banker. Klar, wer «im goldige Anketopf sitzt, hät guet Motze».

Mir kommt während der Diskussion Bert Brechts Spruch in den Sinn: «Der Bankraub ist eine Initiative von Dilettanten. Wahre Profis gründen eine Bank». Allerdings finde ich nirgends eine präzise Angabe, woher das Zitat wirklich stammt.

Mit Sicherheit aber zitiere ich ein Gedicht von Erich Kästner, denn ich kann es nachlesen im Bändchen «Gesang zwischen den Stühlen»:

AUF EINER KLEINEN BANK VOR EINER GROSSEN BANK
(Zur bleibenden Erinnerung an den Juli 1931)

Worauf mag die Gabe des Fleisses,
die der Deutsche besitzt, beruhn?
Deutsch sein heisst (der Deutsche weiss es)
Dinge um ihrer selbst willen tun.

Wenn er spart, dann nicht deswegen,
dass er später davon was hat.
Nein, ach nein! Geld hinterlegen
findet ohne Absicht statt.

Uns erfreut das blosse Sparen.
Geld persönlich macht nicht froh.
Regelmässig nach paar Jahren
klaut ihr’s uns ja sowieso.

Nehmt denn hin, was wir ersparten!
Und verludert’s dann und wann!
Und erfindet noch paar Arten,
wie man pleite gehen kann.

Wieder ist es euch gelungen.
Wieder sind wir auf dem Hund.
Unser Geld hat ausgerungen.
Ihr seid hoffentlich gesund.

Heiter stehn wir vor den Banken.
Armut ist der Mühe Lohn.
Bitte, bitte, nichts zu danken!
Keine Angst, wir gehen schon.

Und empfindet keine Reue!
Leider wurdet Ihr ertappt.
Doch wir halten euch die Treue.
Und dann sparen wir aufs neue,
bis es wieder mal so klappt.

Und tatsächlich erfand die Finanzwelt inzwischen eine neue Art, «wie man pleite gehen kann»: Die Negativzinsen. An unserem Stammtisch sitzt übrigens auch ein ehemaliger Banker. Oder vornehmer, so wie früher: Bankier. «Wir Banker sind ja heutzutage die Bösewichter vom Dienst», sagt er. «Nun aber, nach dem Dieselskandal, sind wir nicht mehr allein!»

 

Erich Kästner. Gesang zwischen den Stühlen. Atrium Verlag. Zürich 1932

Kreuzfahrt auf der Donau

Wir planten und buchten eine Flussschifffahrt auf der Donau von Passau bis ans Schwarze Meer, vom 31. August bis 14. September 2019. Vor sechs Jahren hatten wir bereits eine Gourmet-Reise von Passau bis Bratislava und zurück sehr genossen.
So fuhren wir denn am Samstag, 31. August, im Alfa nach Wil SG und bestiegen dort den Twerenboldbus, der uns nach Passau brachte. Die Kabine 328, etwas weit hinten auf dem Oberdeck, wo also der Schiffsmotor durchaus zu hören war, was uns aber nicht störte, war schnell eingerichtet, das Schiff legte ab, und wir genossen ein erstes Abendessen. Uns war Tisch 15 zugewiesen worden. Da sassen bereits zwei Paare, Helga und Manfred aus Frankfurt am Fenster und Luzia und Christian am andern Tischende. Wir begrüssten die vier und quetschten uns in die Mitte des Sechsertisches. Nach einigen Tagen waren wir dann nur noch zu viert, doch davon später mehr. In der Nacht durchfuhren wir bereits die eine oder andere Schleuse.

 

Und am nächsten Morgen waren wir bereits in Wien, genossen eine ausführliche Stadtbesichtigung und abends ein hübsches Salonkonzert voller Strauss und Lehar und Soupé, dies alles kommentiert von einem intelligenten und launigen Führer, den wir später in Dürnstein wieder antrafen.

Tags darauf begeisterte uns wieder die Wachau mit ihren Rebhängen, Dörfern und Burgruinen. Auf der Rückfahrt hatten wir dann noch mehr Musse, diese Landschaft in vollen Zügen zu geniessen.

Hier handelt es sich allerdings nicht um die Ruine in Dürnstein, in der Richard Löwenherz gefangen gehalten worden war. Dürnstein besuchten wir dann auf der Rückfahrt. Weiter ging es indessen Richtung Budapest, vorbei an der Kirche in Esztergom.

Die Stadtrundfahrt präsentierte uns natürlich das weltweit bekannte Parlamentsgebäude, das in der Nacht fast noch eindrücklicher wirkt. Doch davon später mehr. Und natürlich stiegen wir auf die Fischerbastei (1895 – 1902 in Erinnerung an die mittelalterliche Fischergilde erbaut) und den Burgberg mit fantastischer Aussicht.

Die angedrohte, frühmorgendliche Passkontrolle an der ungarischen Schengengrenze nach Kroatien findet zum Glück nicht statt. Kroatien ist zwar EU- und NATO-Mitglied, aber liegt nicht im Schengenraum! Tage später sollten wir dann ein solches Prozedere erleben dürfen. Das Wetter hat umgeschlagen, es ist bewölkt und dank des Fahrtwindes sehr kalt. Dennoch bleiben wir lange auf Deck, sehen viele Reiher, Kormorane, Enten, Möwen, Schwalben und einige wenige Seeadler. Sie stehen im Sand. Einer fliegt gerade auf, und ich sehe im Feldstecher seine weissen Schwanzfedern glänzen. Gegen Mittag legen wir in Vukovar an. Der nachmittägliche Ausflug in den Naturpark Kopački rit zeigt uns von einem Touristenbötchen aus Silber- und Graureiher, Kormorane, Enten und Möwen in grosser Zahl und einige Eisvögel und Seeadler. Zudem sehr viele Biberschäden. Kopački rit ist das grösste, naturbelassene Sumpfgebiet in Mitteleuropa. Die anschliessende Besichtigung von Osijek stimmt sehr nachdenklich und traurig. Viele Häuser zeigen noch massive Spuren des Jugoslawienkriegs von 1991 – 95. Ein Führer in Novi Sad, eine Führerin in Vukovar und eine in Osijek und Ilok erzählten von Kriegen und deren Folgen. Die Führerin in Osijek (und tags darauf in Ilok) war sehr jung, hatte den Krieg nicht selbst erlebt und berichtete distanziert und sachlich darüber. Ob korrekt oder doch einseitig kroatisch kann ich nicht beurteilen. Der Staat Kroatien hilft den Betroffenen beim Wiederaufbau ihrer zerstörten Häuser, aber nicht mit Geld, sondern mit Baumaterialien.

Im ehemaligen Kloster von Osijek. Hier gab’s den ersten Slivovic unserer Reise.
Am Abend sollten wir nach Belgrad weiterfahren, doch «die Backbordmaschine liess sich nicht starten», erklärte der Kapitän. Er versuchte mit nur einer Maschine nach Belgrad zu fahren, doch das misslang: Wir steckten in Vukovar fest. Deshalb fuhren wir nun, am Mittwoch, dem 4. September, in Bussen nach Novi Sad, was wegen der Grenze bei Ilok lange dauerte – Novi Sad liegt in Serbien, Vukovar in Kroatien. An der Grenze mussten alle aussteigen, mit dem Pass in Händen an einem Kabäuschen in Einerkolonne vorbeiziehen. Der Pass wurde gescannt, abgestempelt, und es wurde geprüft, ob Passfoto und Gesicht des Passträgers übereinstimmten. Das dauerte! Unterdessen fuhren fröhlich Kroaten in Privatautos nach Serbien und Serben nach Kroatien.

Der Grenzübergang bei Ilok samt herunter gekommenem Toilettenhäuschen

Die Festung von Novi Sad vom Bus aus, eine orthodoxe Kirche in Novi Sad und ein zerstörter Brückenpfeiler in der Donau – „doch davon später mehr“ (zitiert nach Robert Walser in seinem Räuberroman). Unser Führer lebt in Belgrad, ist Serbe, und das spürt man deutlich an seinen Erklärungen. «Der dumme Krieg, der unnötige Krieg, die Bomben der Nato.» Kein Wort über den Kriegsverbrecher Milosevic. In der Kirche erklärt er dafür ausführlich und durchaus kompetent den Unterschied zwischen Katholizismus und Orthodoxie. Serbien, so sagte er schliesslich, sei seit dem Handelskrieg zwischen den USA und Russland zum grössten Exporteur von Pflaumen in jeder denkbaren Form und Himbeeren geworden. Bei der Rückfahrt im Bus nach Vukovar wurden unsere Pässe eingezogen, es stieg die serbische Polizei in den Bus, schaute in unsere Pässe und tief in unsere Augen, und eigentlich hätten wir nun fahren können. Doch es stand der Schichtwechsel bevor, der musste abgewartet werden, was wieder fast eine halbe Stunde dauerte.
Da unser Schiff noch immer still in Vukovar lag, fuhren wir anderntags wieder im Bus weg, aber diesmal bloss bis Ilok, wo wir ein Weingut besichtigten und fünf kroatische Weine degustierten. Anschliessend führte uns eine gut sechzig jährige Frau durch Vukovar, das noch immer deutliche Spuren des Krieges aufweist. «Denn bei uns ist alles korrupt», sagte sie. Und bezeichnete nicht nur den Serben Milosevic als «Gauner», sondern auch den Bosnier Izetbegović und den Kroaten Franjo Tuđman, erster kroatischer Staatspräsident. Alle drei Gauner hätten schlimme Fehler gemacht.

Die Skyline von Vukovar, die sich uns allen auf dem Schiff wohl eingebrannt haben dürfte, die Büste von Franjo Tuđman und – laut Führerin – das meist fotografierte Haus Vukovars. Ein Privatmann lässt es als Mahnmal so stehen und sorgt für Blumen!
Freitag, 6. September. Das Schiff, die Excellence Baroness, fährt noch immer nicht! Es bricht Panik aus, könnte man sagen. Das Reisebüro Mittelthurgau bezahlt jenen, die nach Hause möchten – denn das Donaudelta können wir auf keinen Fall mehr erreichen – den Rückflug von Belgrad nach Zürich. Bezahlt werden müssten nur die Tage bis und mit 6.9.19. Gut dreissig Gäste machen davon Gebrauch, auch Luzia und Christian, sodass wir fortan gemütlich zu viert am Sechsertisch speisen. Denn wir bleiben. Es werde uns die Hälfte der bereits einbezahlten Reisekosten erlassen. Wir geniessen einen sonnigen Tag an Deck.

Anderntags, am Samstag, dem 7. September, geben die Schiffsmotoren frühmorgens ein Lebenszeichen. Doch den ganzen Vormittag macht sich wieder einmal die Polizei auf dem Schiff breit, sodass wir erst gegen Mittag losfahren können – unter Applaus der «treuen, tapferen Kundschaft». Diesmal sehen wir nun auf dem Weg nach Belgrad Novi Sad vom Schiff aus, sehen die Reste der von der Nato 1999 zerstörten Brücken. Das erfolgreiche Bombardement hatte zum Ziel, die Nachschubwege der Serbischen Armee zu unterbrechen.

Auch in Belgrad sind noch immer die Spuren des Krieges zu sehen. Wir besichtigen eine Festung und steigen wie tausende andere Touristen in die Krypta einer riesigen Kirche, die über und über mit Gold verziert ist. Woher stammt all dies Geld? Den Nachmittag geniessen wir in Musse an Deck, direkt an der Belgrader Partymeile.

 


Am Montag stehen wir sehr früh (in der Nacht haben wir die Grenze der Zeitzone überschritten) in stürmisch kaltem Wind an Deck und bestaunen die Durchfahrt durch die Katarakte am eisernen Tor. Die Donau fliesst hier durch eine Schlucht, umgeben von hohen Bergen. Grimmig grüsst der Dakerkönig Decebalus, Gegner Trajans im 2. Dakerkrieg, 105 – 106 n.Chr..
Prof Wikipedia:
„Trajan kehrte mit 330 Tonnen Gold, 165 Tonnen Silber und mit 50.000 Gefangenen zurück. Somit konnte er die fatalen finanziellen Probleme Roms lösen. Der Sieg Trajans über die Daker wurde in Rom, neben anderen Erfolgen, auf der Trajanssäule dargestellt. Zudem schrieb er ein Tagebuch über die Dakischen Kriege, das jedoch verloren ging.“
Das riesige Felsporträt stammt aus dem 20./21. Jahrhundert, finanziert von einem rumänischen Geschäftsmann. Etwas später steht die Tabula Trajana knapp über dem Wasserspiegel. Trajan hatte etwa um 100 n.Chr. die rechtsufrige Römerstrasse fertig erbauen lassen, worauf diese Tafel gesetzt wurde. Beim Bau von Kraftwerk und Schleuse in den frühen Siebzigerjahren stieg der Wasserspiegel um 35 m. Die Donau setzte siebzehn Dörfer unter Wasser, und mehrere Zehntausende Menschen mussten umgesiedelt werden. Die Schleuse am Eisernen Tor sehen wir nur von Weitem. Wir durchfahren sie nicht, müssen umkehren, um Passau wieder zur rechten Zeit erreichen zu können. Orsova in Rumänien ist unser meernächster Anlegeplatz.

Vor der Rückfahrt besuchen wir noch Turnu Severin, wo Trajan eine Brücke über die Donau bauen liess (102 – 105), die Aurelian etwa 270 n.Chr. zerstören liess. Es folgte ein Abstecher nach dem Herkulesbad in Rumänien, das seinerzeit von der «Krone der Gesellschaft» rege besucht worden war (Kaiser Franz Josef und Sisi u.a.), das sich aber total verlottert präsentiert, trotz der vielen Touristenbusse. Die Schwefelquelle kannten und benutzten schon die Römer.
Die ganze Gegend hier ist bereits lange vor den Römern besiedelt gewesen. So finden sich in Lepinski vir (das wir aber nicht besucht haben) Siedlungsspuren aus den Jahren 8000 – 4000 v.Chr.!
Nun geht’s wieder stromaufwärts. Schade.
Frühmorgens erreichen wir Mohȧcs an der ungarischen Grenze, wo uns die Polizei um sechs Uhr aus den Betten holt zur Pass- und Gesichtskontrolle. Später fahren wir in die ungarische Puszta zu Reiterspielen für uns Touristen und zu einem folkloristischen «Paprikahouse».

In der Nacht fahren wir durch das hell erleuchtete Budapest

Am Morgen sind wir in Komȧrom, fahren den ganzen Tag über donauaufwärts, vorbei an einer modernen Brückenbaustelle, an Bratislava und legen in Melk an, dessen Stift wir nicht „machen“, weil wir das schon vor sechs Jahren «abgehakt» hatten.

Vorher aber besuchen wir in der Wachau Krems und Dürnstein. Hier nun stehen die Reste der Festung, in der Richard Löwenherz gefangen gehalten wurde.

 


Und dann geht’s nach Passau und nach Wil und nach Hause.

Erfreulicher Nachtrag

Wie bereits geschildert, erlitt die Excellence Baroness in Vukovar eine Panne, sodass das Ziel der Reise, das Donaudelta, nicht erreicht werden konnte. Mittelthurgau zahlte grosszügig die Hälfte der Reisekosten zurück, obschon wir während der gesamten, ursprünglich geplanten Reisezeit auf dem Schiff blieben. Zuzüglich spendierte Mittelthurgau einen Gutschein für eine zweitägige Kreuzfahrt. Wir entschieden uns für eine Gourmetfahrt auf der Excellence Princess von Basel nach Strassburg am 22. und 23. November. Darüber nun das folgende Berichtchen.

Per Bus ging’s von Wil SG an die Rheinhäfen in Basel, wo wir uns um 14:00 Uhr einschifften. Der Kapitän kündigte an: Die Reise führt uns durch acht Schleusen, sie ist 280 km lang. Die erste Schleuse erlebten wir noch bei Tageslicht auf dem kalten, windigen Deck. Am Abend dann begann die Gourmetparty: Es kochte Mike Wehrle vom Bürgenstock mit drei Souschefs. Das Essen war wie erwartet grossartig. Unter der Moderation von Dani Forler erläuterte Mike Wehrle die Menüs, ein Weinhändler die Weinauswahl und ein Fischzüchter die beiden servierten, selbst produzierten Kaviars.

Am Abend dann live-Musik und Schlummertrunk. Anderntags genossen wir eine gut einstündige Führung durch Strassburg. Der Führer griff tief zurück in die Geschichte der Stadt bis zum mittelalterlichen Städtebund, an dem auch die Eidgenossenschaft beteiligt war; und dabei schilderte er die Hafenbreifahrt. Allerdings handelte es sich 1456 um Hirse und nicht Hafer. Die Fahrt sollte beweisen , dass Zürcher Truppen schnell genug in Strassburg sein könnten. Unter den Hauptleuten Johann Simmler und Imbert von Diessbach zogen je 300 Mann Zürcher- und Berner Hilfstruppen nach Strassburg zum Garnisonsdienst. 1678 verteidigten diese Truppen tapfer den Brückenkopf Kehl und verloren gegen 40 Mann. Die Hirsebreifahrt, so lese ich, finde seit 1946 alle zehn Jahre statt. Die letzte war 2016, sodass die nächste dann 2026 sein dürfte. In Kehl lag übrigens unsere Excellence Princess. Unser Führer entliess uns beim Münster: Unerhört, die Menschenmassen, die da zirkulierten. Es war eben auch «Christchindlimärt». Dabei hatten wir extra eine Gourmetfahrt und keine Fahrt an Weihnachtsmärkte gebucht! Wir flüchteten aus der Kälte und der Menschenmasse in eine Beiz zu Choucroute de Strasbourg und Flammenkuchen. Am Nachmittag ging’s per Bus zurück nach Wil.

Knappe Übersicht über unsere bisherigen Fluss-Kreuzschifffahrten

2013: Mit der Excellence Royale von Passau bis Bratislava auf der Donau
2014: Mit der Excellence Royale in der gleichen Kabine von Paris an den Atlantik
2016: Mit der Excellence Queen durch Holland
2019: Mit der Excellence Baroness auf der Donau mit Motorschaden in Vukovar
2019: Mit der Excellence Princess auf dem Rhein bis Strassburg

Das isch de Glu!

Unsere Nachbarn fahren für ein paar Tage in die Ferien. Wir hüten ihre Hühner und wir singen vor uns hin

Muesch de Hüener Zyt vertriebe, tra la la la laa

Die Zeit vertreiben sie sich schon selbst. Aber füttern und den Stall misten und morgens Türchen auf und abends Türchen zu, das bleibt uns, genauer gesagt Karin, meiner Frau, vorbehalten und erinnert mich an meine Grossmutter, die immer vor fünf Uhr abends zu Hause sein musste, denn

i muess de Hüener ie tue.

Eine Henne sei «gluggerig», sagte der Nachbar. Wir erzählten davon einer etwa gleichaltrigen Freundin aus dem Säuliamt, aufgewachsen auf einem Bauernhof und selber Besitzerin von Hühnern. Sie kannte den Ausdruck «gluggerig» nicht. Nun, was eine «Gluggere» ist, das wissen wir so ungefähr, nämlich eine Mutter, die Mühe hat, ihre Kinder erwachsen werden zu lassen. Aber ganz genau – wir sind unsicher und konsultieren das Zürichdeutsche Wörterbuch [der Nachbar stammt aus Wald].

«gluggerig: brütig, zum Ausbrüten der Eier bereit.
Gluggere: Gluckhenne, Bruthenne. Wänn e Gluggere zum Güggel chund, so vergisst sie d Hüenli.
Gluggere: Mutter mit vielen Kindern, Kindertante
Gluggere: Buschwindröschen, Guggerblueme
gluggere: glucken, Ruf der Henne beim Brüten»

Die Gluckhenne und das Verb glucken kannte ich überhaupt nicht.

So eine Seite im Zürichdeutschen Wörterbuch ist wirklich spannend. Wussten Sie, was «Glungg» ist? Das sind die essbaren Eingeweide beim Schlachtvieh, etwa Lunge, Herz, Leber. Und eine «Glungge» ist eine nachlässige Frau. Ein «Glüüssler» dagegen ein heimtückisch Lauernder.

Natürlich ist auch durchaus Bekanntes aufgeführt, etwa «gmäggelig», also faulig riechend. Oder «Gmächt», die Genitalien des Mannes.

Man kann wohl irgendeine Seite des Wörterbuchs aufschlagen und findet Interessantes. Beispielsweise die Seite von «präschthaft», gebrechlich, schadhaft, bis

«Proleet»: Grosssprecher, Prahler (Rückbildung aus ‚Proletarier‘, entlehnt (18.Jh.) aus lat. proletarius, Bürger der untersten Klasse, zu lat. proles ‚Nachkomme‘. Das lateinische Wort bezeichnete den Bürger, der dem Staat nur mit seiner Nachkommenschaft zu dienen vermochte.)

«präschtiere: D Muetter chas ooni Hülff nüd präschtiere»
«prelaagge: prahlen, grosse Worte machen» [Was prelaagged de Trump ächt hüt?]
«pring»: Es prings Püürschtli.

Und ich lerne schliesslich, dass das Protokoll im Zürichdeutschen «Prodikoll» oder «Protikoll» genannt werden will.

Will mer Müe gèè!

Heinz Gallmann: Zürichdeutsches Wörterbuch. Verlag Neue Zürcher Zeitung. 2009. Zürich

Ein Sommerabend

Der Smoker wurde schon am Nachmittag angefeuert. Am Abend sitzen im Garten acht Männer am Tisch, geniessen vorerst den verlockenden Bratenduft, den fruchtigen, jungen Weisswein und den feinen Rosé aus der Eigenproduktion des Grillmeisters. Einige bevorzugen Weizenbier oder Pils, mit oder ohne Alkohol, und angesichts des heissen Wetters – ein starkes Gewitter ist angedroht – wird auch viel Wasser konsumiert. Dann ist es soweit: Spareribs, Braten und Haxen werden, begleitet von Kartoffeln aus dem Smoker und Salat, serviert. Alles Fleisch schmeckt grossartig: zart, weich, kräftig im Geschmack wie es sein muss vom Grill, und die Sauce dazu: verführerisch. Drei alte Herren und fünf Männer im besten Alter reden während des Essens eifrig und oft durcheinander, über günstige Einkaufsmöglichkeiten, über die Beizen des Ortes, über den Gemeinderat und die Finanzen der Gemeinde: Heisse Themen bei heissem Wetter.

Dann wird abgeräumt, und die Schachbretter und Figuren bereitgestellt. Ausgetragen wird ein Fünfminuten Blitzturnier, dem die alten Männer kaum gewachsen sind. Unerwarteter Sieger ist der Jüngste, der nach eigenem Bekunden ein schlechter Blitzspieler sei. Nach dem Turnier verabschieden sich die Alten, fahren nach Hause – und erst spät in der Nacht bricht das starke Gewitter aus. Endlich Regen.

Der Berichterstatter nimmt sich vor, wieder mehr zu spielen, mehr zu trainieren, mehr zu studieren …

Die dreizehnte Miteigentümerversammlung der Siedlung im Eschberg

 

Es ist der 6. Juni 2019. Sehr pünktlich um 19:00 Uhr eröffnet der Verwalter die Sitzung vor den zahlreich erschienenen Miteigentümerinnen und -eigentümern. Dies ist die letzte Versammlung unter der Leitung der Düby Bau- & Verwaltungs AG. Ab 2020 übernimmt das BILANZTEAM GMBH (Frau Mäder).

Die Versammlung ist beschlussfähig, das Protokoll der letztjährigen Versammlung kann abgenommen, das Budget genehmigt und die Einlage in den Erneuerungsfond auf wiederum viertausend Franken festgelegt werden. Die Umgebungsbeleuchtung und die Lampen in der Tiefgarage werden ersetzt durch LED-Leuchten. Priorität haben die Aussenlampen. Es wird ein Kostendach von zwanzigtausend Franken beschlossen. Bezahlt werden wird aus dem Erneuerungsfond. Die Ausschussmitglieder und die Revisoren werden bestätigt und die Versammlung 2020 auf den 11. Juni angesetzt.

Alle Familien werden dringend ersucht, sich für eine Woche Spielplatzdienst zur Verfügung zu stellen. Dabei gehe es nun, da der Nachwuchs nicht unerwarteterweise älter geworden sei, weniger mehr darum, den Sandkasten zu pflegen als vielmehr den Platz von leeren Redbull-Büchsen und Chipssäcken und allerhand übrigem Plastik zu säubern.

Die Arbeit des Hauswarts und seines Helfers wird mit Applaus verdankt. Der lobt seinerseits die Anwesenden für ihre loyale Mitarbeit etwa bei der jährlichen Garagenreinigung: Alle würden tapfer ihre Autos, Velos, Pneus und so weiter wegräumen, bis auf eine Familie, die dazu laut eigenen Aussagen keine Lust verspüre.

Per Velo oder zu Fuss begaben sich nun die meisten in die Siedlung zurück und schienen nun ihrerseits keine Lust auf den Besuch der Gemeindeversammlung zu verspüren.

Meine Freunde, die Hobbyköche

Wenn ich mich unter den Freunden und Bekannten meines Alters umhöre, stelle ich fest, dass viele einem kleineren oder grösseren Kreis von Hobbyköchen angehören. Man trifft sich bei einem Freund zu Hause, kocht und isst gemeinsam, lädt allenfalls auch die Ehefrauen oder Lebenspartnerinnen dazu ein – oder auch nicht. Es gibt solche «Klubs», die kulinarisch immer nach Höherem streben, immer ausgefallenere und kompliziertere Rezepte mit immer selteneren und teureren Zutaten zu kochen und essen versuchen, la grande cuisine eben, bis es einem meiner Freunde in einer solchen Clique zu bunt wurde, und er ausstieg. Oder andere, die eher auf Einfachheit, auf Tradition, Bodenständigkeit und Regionalität achten im Gedenken an Grossmutters Küche. Meine Grossmutter allerdings, eine liebe, grossartige Grossmutter, hat eher schlecht gekocht – aber ihre Hühner rupfen, das konnte sie. Und dann die Hühnersuppe!

Wir sind drei ehemalige Berufskollegen, die einige Male im Jahr gemeinsam kochen und dabei über Politik, über Gott und die Welt, über Theaterbesuche oder Neuigkeiten aus unserer Berufsbranche palavern. Einer der Freunde lebt in Zürich, aber auch an mehreren Tagen der Woche in Mailand und bringt so die italienische Küche in unseren Kreis. Der Zweite im Bunde besitzt einen schönen Grill im schönen Garten, worauf dann Fische und grosse Fleischstücke gedeihen. Ich im Zürcher Oberland servierte das letzte Mal völlig phantasielos ein Zürcher Geschnetzeltes mit Rösti. Die Rösti brieten wir in gusseisernen Portionenpfännchen, sodass dann jeder ein Brettchen mit dem Pfännchen vor sich hatte. «Das wiederum,» meinte mein Kollege, «entspricht nun ganz und gar nicht der Tradition, die doch die Rösti in der Mitte des Tisches will, und jeder greift mit seinem Löffel aus der grossen Pfanne zu.» So hatte ich es als Knabe bei einem Freund erlebt, dessen Vater SBB-Arbeiter war. Da gab’s die Kartoffeln zum Frühstück. Mein Zürcher Geschnetzeltes enthält natürlich auch Nieren, wie es das Originalrezept verlangt. Ich folge damit Hugo Loetscher, der einmal geschrieben hat, dass genau die Mischung aus feinem, teurem Zürichberg-Kalbfleisch und deftiger, billiger Niere von jenseits der Sihl die soziologisch-politische Qualität dieses Gerichts ausmache,weshalb er es so liebe. Wo liest sich diese Aussage? Ich suche und lese, ein Buch nach dem anderen von Hugo Loetscher, Werke, die ich schon einmal gelesen habe – finde aber auch nach Tagen nichts. Mit Hilfe von Google nehme ich einen Nachruf auf Loetscher von Stefan Zweifel zur Kenntnis, der ziemlich wörtlich schreibt, was ich oben notiert habe, der aber auch keine konkrete Stelle angibt.

Aber anderes finde ich wieder:

In dem feinen Buch «Kulinaritäten», einem Briefwechsel zwischen Alice Vollenweider und Hugo Loetscher, finde ich: «… und da hat sie [die Marktfrau] mir erklärt, dass der flache, längliche Fenchel, den ich in der Hand hielt, ein Weibchen sei, das kein Kenner kaufen würde, und mir dann eine kurze, dicke und kräftig gewölbte Fenchelknolle in den Korb gelegt. Das sei ein Männchen und schmecke viel besser. Du siehst,» schliesst Loetscher, «wie weit die Diskriminierung der Frauen geht.» Im Supermarkt vor ein paar Tagen habe ich nur Männchen gefunden!

Und Alice erklärt mir die Spaghetti all’ aglio wie folgt: «Die Knoblauchspaghetti findet man auch auf der Speisekarte italienischer Restaurants in Zürich. Nur fehlt dabei meist das Wichtigste: die Kartoffelwürfel, die man fünf Minuten vor den Spaghetti ins Wasser wirft. Der Rest ist sehr einfach. Man schneidet den Knoblauch in Scheiben, die in reichlich Butter goldgelb oder goldbraun geröstet werden. Dann lässt man die al dente gekochten Spaghetti zusammen mit den sehr weichen Kartoffeln abtropfen, vermischt sie mit der heissen Knoblauchbutter und geriebenem Parmesan und bestreut sie mit schwarzem Pfeffer. Die Kartoffelwürfel absorbieren das Aroma von Butter, Knoblauch, Parmesan und Pfeffer viel intensiver als die Spaghetti. Das ist das Geheimnis dieses schlichten und vollkommenen Gerichts, das man höchstens mit einem Glas Wein ergänzen kann.»

Die Hobbykocherei treibt manche Blüten. Einer meiner Freunde ist mit den Jahren überzeugter Vegetarier geworden. Als gebürtiger Churer hat er uns dennoch, wohl aus purer Nostalgie und Liebe zur einheimischen Kochkunst, einmal eine «Churer Beinwurst» serviert. Es gäbe in Chur nur noch einen Metzger, der Beinwürste herstelle. Wer weiss, vielleicht wird die Wurst angesichts des modernen Trends «from nose to tail» ja wieder hip. Ich hätte nichts dagegen.

So: Nun aber ab in die Küche zu Stockfisch. Baccalà. «In den handgeschriebenen Zürcher Rezeptsammlungen vergangener Jahrhunderte findet man viele feine Stockfischrezepte … Wie ist uns diese Delikatesse abhanden gekommen?» [Alice Vollenweider]

Alice Vollenweider und Hugo Loetscher: Kulinaritäten. Ein Briefwechsel über die Kunst und die Kultur der Küche. Diogenes Taschenbuch 21927. Zürich. 1991

 

Hofacker und Eschberg

Zu meinem Geburtstag erhalte ich ein schmales Bändchen mit Gedichten von Franz Hohler mit dem Titel „Alt?“. Darin – und auf dem Rückumschlag – findet sich:

Achtung!

Wenn du
das Alter betrittst
setz den Helm auf

es herrscht
Steinschlaggefahr.

Franz Hohler hat den gleichen Jahrgang wie ich. Ich lese und denke über das Alter nach, denke an mich als Knaben zurück. Mitten im Krieg, 1943, baute mein Vater ein Haus in einer Siedlung in einer Kiesgrube in Dietikon.

Wir wohnten im hintersten Haus. Genau wie heute in der Siedlung im Eschberg, in die ich im Alter eingezogen bin.

                             

Von den zwanzig Häusern (Häuschen, würde man heute sagen) stehen nur noch wenige. Söhne, Töchter und Enkel haben auf ihren Grundstücken in den letzten Jahren moderne Neubauten erstellt.

Modernes Bauen sieht anders aus als 1943 mit dem „vorsintflutlichen“ Bagger und dem Lastwägelchen, angetrieben mit einem Holzvergasermotor.

                              

Die Häuser der Siedlung im Eschberg sind weitaus geräumiger und bequemer. Im Hofacker gab es zunächst weder Badezimmer noch Kanalisation. Die guten alten Zeiten waren nicht immer wirklich gut, aber das wissen Menschen meines Jahrgangs natürlich alle.

Noch zwei kurze Auszüge aus dem Gedicht „Alt?“:

Warum fällt es dir
immer noch schwer
deine Handy-Nummer zu lernen
(Die Nummer des Elternhauses
weisst du noch jetzt)?

Morgens vor sechs
schon wach zu sein
dafür einzunicken
bei Büchner, Brecht
oder Shakespeare
ist das normal?

Franz Hohler. Alt?. Luchterhand. 2017